Sie geht um die Ecke, sie ist spät dran, die Anderen sind
schon vorausgegangen, nun kommt sie hinterher, sie wird schon nichts verpassen.
Nach der Ecke sind es nur 200 Meter, dann nach rechts und da steht sie auch
schon vor ihrem eigentlichen Wohnzimmer, der Szenekneipe. Es ist Samstagabend,
also los, ab in das Getümmel. Die Tür geht auf, warmer Zigarettenqualm,
Bierdunst und laute, aufgedrehte Gesprächsfetzen wabern ihr entgegen. Sie
taucht ein, in den regelmäßigen Wahnsinn. Sie quetscht sich an den Leuten
vorbei auf dem Weg zur Theke, sie will jetzt ein Bier. Derweil genießt sie den Körperkontakt, das findet sie anregend.
Die Typen fahren voll auf ihren Körper ab, dieses Wissen beeinflusst ihre
Bewegungen sehr. Auf dem Weg bis zum Bier hat sie schon wieder mit drei, vier
Kerlen anregende Miniintermezzi gehabt, von Becken zu Becken. In ihrem Gesicht
sieht man davon gar nichts, höchstens ein ganz bisschen rosa auf den Wangen.
Mit dem Bier in der Hand quetscht sie sich weiter auf dem Weg zu den Anderen.
Bionda muss schon grinsen, wenn sie sich das Bild von ihren kichernden
Freundinnen nur vorstellt. Jetzt hat sie sie ausgemacht, sie stehen um die
Ecke, da geht die Theke weiter, man ist also immer noch am Trog. Dort führt ein
schmaler Weg in das Hinterzimmer. Gut, sie stehen an Biondas Lieblingsplatz.
Viele Leute drängeln sich dort vorbei, es bleibt also bei Körperkontakt und sie
bekommt nach und nach einen guten Überblick, wer so alles da ist. Die drei
anderen Mädels unterhalten sich über den gestrigen Abend. Das ist immer spaßig,
denn nur in der Gemeinschaftsarbeit sind sie in der Lage das Erlebte zu
rekonstruieren. Jede für sich hat nur mehr oder weniger schemenhafte
Erinnerungsfetzen, erst wenn sie alle ihre Fetzen zusammentun, ergibt sich ein
löchriges Gesamtbild, was sie wieder losgemacht, oder angestellt haben, je nach
Blickwinkel. Als Bionda dazu kommt erzählen sie sich gerade gegenseitig, wie
Roth an einem gutaussehenden Punk gebaggert hat. Es war schon spät am Abend,
beziehungsweise schon bald Sonnenaufgang, Roth hatte, wie immer, ordentlich
getankt und alle Scheu hinter sich gelassen. Die beiden anderen Mädels schildern
Roth ihre aufdringlichen Versuche den Punk zu sich nach Hause zu zerren. Roth
kriegt vor Lachen kaum noch Luft, sie ist rot, aber eher, weil sie im
Mittelpunkt des Gespräches steht, als dass sie sich schämt. Ihre Scham hat sie
in den letzten Jahren weitgehend mit Alkohol weggespült, außerdem sind die
Anderen so erfrischend schamlos, da hat sie sich schnell und gern angepasst.
Nun ist also Bionda dabei und gibt gleich noch ihren Beitrag zum Thema. Das
kommt jetzt ganz auf ihre Laune an, der kann schneidend scharf und abkanzelnd
sein oder auch liebevoll und unterstützend. Heute ist Bionda eher
unterstützend, sie ist so angenehm angeregt von dem Gedrängel. „Jedenfalls hast
Du nichts groß verpasst, Süße, der Typ ist Scheiße im Bett!“ Es ist so voll, dass alles von der Brust
abwärts eigentlich unsichtbar ist. Was da passiert ist geheim. Bionda liebt
diese Situation, sie kann jetzt scheinbar unbeabsichtigt mit ihrem Körper
agieren. Sie ist da schon ambivalent, die Typen fahren höllisch auf ihren
Körper ab, das ist natürlich gut so, aber manchmal macht es sie auch traurig,
unglücklich. Dann hadert sie, dass sie sich gar nicht gemeint fühlt, sondern nur
ihre schöne Hülle. Meistens kommt sie aber gut klar, diese Körperlichkeit macht
sie an. Hier an diesem Platz kann sie quer über die Theke zurückschauen, zu den
Männern, an denen sie sich vorhin vorbeigedrängelt hat. Schaut einer zu ihr?
Hat sie da, beim harmlosen Vorbeigehen, wieder was aufreißen können? Ihr
gefällt der Abend jetzt schon, sie bestellt sich noch ein Bier und tut so als
wäre sie am Gespräch mit ihren Freundinnen interessiert. Einer ihrer Verehrer
kommt angeschlappt. Den braucht sie jetzt gar nicht, der besetzt den Platz bei
ihr, der lieber frei bleiben sollte, für potentiell Interessierte. Sie ist
trotzdem freundlich, obwohl der Junge
absolut keine Schnitte bei ihr hat, bleibt er in ihrem Pool. Sie hat ein großes
Sammelbecken für Verehrer, das wird von ihr lauwarm beheizt, man weiß ja nie,
wofür man sie noch brauchen kann. Jetzt unterhält sie sich freundlich mit dem
Schluffi. Ihre Freundinnen hören amüsiert zu, denn alles was sie sagt ist
zweideutig, die Freundinnen hören etwas anderes als der Schluffi. Der Junge
wird zusehends verunsicherter und verzieht sich bald. Er ist sauer auf die
Mädels, nicht auf Bionda, die war ja nett, nur ihre Freundinnen haben die ganze
Zeit so blöd gekichert. Bionda ist erleichtert, dass der Platz bei ihr wieder
vakant ist, vielleicht kommt jetzt doch noch einer ihrer jüngsten Kontakte
herüber. Mit einem Ohr hört sie dem Gespräch ihrer Freundinnen zu, Violet
erzählt gerade, dass ihr Bett heute früh vollgepisst war, war sie das selbst,
oder der Kerl, den sie abgeschleppt hat, das ist die Frage. Alle lachen, keine
findet das Thema lustig, Filmriss ist noch ok, nächtliche Inkontinenz ist
beängstigend, aber jetzt und hier wollen alle lustig und souverän sein, also
wird das Thema mit viel Ironie auf Distanz gehalten. Bionda gibt gerade einen
ihrer schlauen Sätze zum Besten, als endlich einer kommt und sie anspricht.
Jetzt war aber gerade „letzte Bestellung“ angesagt, also muss sie erstmal
klären wo der Abend weitergehen soll.
Keine Frau ist so charmant wie Bionda. Wenn sie entspannt
ist, ist ihre Wirkung nicht so stark, aber wenn ihr Gesicht lebendig wird, dann
wirkt sie sehr ansprechend. Dabei ist ein Schneidezahn viel länger als der
andere, das sieht ja eigentlich hexig aus, aber bei ihr mehr liebenswert. Sie
hat eine ganz eigene Schönheit, wenn sie lächelt. Ihr Lächeln kann so
warmherzig sein, dass sie trotz ihrer Jugend mütterlich wirkt. Das ist
keineswegs altbacken sondern ganz frisch. Bionda hat wunderbare Haut, sehr
weiß, ein bisschen porzellanartig, an manchen Stellen schimmert ihr Gesicht
bläulich. Morgens kann sie schon mal richtig fertig aussehen. Ehrlich gesagt
auch mittags, oder nachmittags, aber bis abends, bis sie wieder loszieht, ist
alles gut, dann sieht sie wieder großartig aus. Mütterlich ist auch ihre
Stellung in der Mädelsclique. Sie ist die einzige, die eine vernünftige Wohnung
hat, fast alles spielt sich bei ihr ab, also tagsüber, dadurch hat sie eine
zentrale Rolle in der Gruppe. Es ist auch ihre Heimatstadt, die drei anderen
sind zugezogen, Bionda kennt sich bestens aus. Aber wichtig ist auch ihr
Charakter, sie ist trotz ihrer Jugend so lebensklug. Die anderen können das oft
nicht so annehmen, aber Bionda weiß meistens wo es lang geht.
Auch die anderen werden aktiv, „letzte Bestellung!“ wirkt
auf alle wie eine Warnung. Keine von ihnen will um diese Uhrzeit nach Hause.
Der Abend hat ja gerade erst angefangen, sie wollen sich noch amüsieren, nicht
nur das, das ganze Leben kann sich heute Nacht entscheiden. Also umschauen,
horchen, was machen die anderen so, gibt es eine Party? Bis eben haben sie so
beieinander gestanden, dass kaum Platz für andere war, jetzt orientieren sich
alle nach außen, gehen auseinander, jede geht zu anderen Bekannten um zu hören,
was in der Stadt, am Abend, so los ist. Wenn ein Außenstehender das beobachtet
sieht das fast aus wie eine Ballettfigur, ist das eine Quadrille? Vier Mädchen
stehen zusammen, schwärmen plötzlich nach außen und kommen, wie auf ein
geheimes Zeichen, wieder zusammen. Ok, was geht? Es gibt eine Party in der
Kantstraße, ein paar Jungs wollen weiter in die Weinstube, die noch bis um drei
offen hat, irgendjemand hat gesagt, er geht noch in die Disco. Tja, Weinstube
ist eigentlich eine Sackgasse, da gibt man sich noch den finalen Abschuss und dann
ist der Abend rum. Disco ist auch nicht so toll, die ist für Studis, da ist
unklar, ob die Mädels reinkommen, also Kantstraße. Wer wohnt eigentlich in der
Kantstraße? Bionda ist mal wieder die Einzige, die dort jemanden kennt, aber auch
nur entfernt, also am besten mitgehen, mit anderen, damit man dort nicht so
komisch angeschaut wird. Das Ballett zeigt noch mal eine hübsche Figur, nochmal
Leute ansprechen, austrinken, klarmachen und dann gehen die vier Mädels mit
drei Jungs zur Tür hinaus in die kalte Nacht.