Donnerstag, 18. Dezember 2014

Befindlichkeiten: Heimat


Gestern bin ich mit dem Zug hier angekommen. Das war aufregend: schon lange vorher waren die Hügelketten vertraut. Der Zug fuhr, das Gefühl  des Vertrauten in mir wurde immer größer. Ich erkannte die Orte und Bahnhöfe entlang der Bahnlinie. Dann die Außenbezirke der Stadt, ich hatte das Gefühl, die einzelnen Häuser wieder zu erkennen. Der Zug fuhr über meine Straße, bevor er in den Bahnhof einfuhr. Das ist Heimat. Ich wohne hier aber gar nicht mehr. Ich wohne weit weg, vermisse diese Stadt scheinbar  nicht und gestern bin ich hier, nach langer Zeit, wieder mal angekommen. Ist es Heimat? Es ist so vertraut, jedes Blatt am Baum scheint mir bekannt vorzukommen. Da ist wenig, was ich vermisst habe, aber das Gefühl von Vertrautem ist sehr angenehm. Daheim ist das Bekannte, wenn jeder Winkel und jede Ecke hundertmal angeschaut wurde und ganz nah herangewachsen ist. Ich bin aus dem Zug ausgestiegen, durch den Bahnhof gelaufen und dann zurück zu meiner Straße. Die Gesichtszüge der Passanten schienen auch so vertraut, kenne ich die alle? Hat das Volk hier ein anderes Gesicht als in meiner neuen Stadt? Beschwingt lief ich durch die Straßen, es ist gut so, ich werde den Besuch in dieser Stadt in meiner ehemaligen Wohnung verbringen. Mein Nachmieter und ich sind befreundet, dadurch geht das, da ist noch meine alte Küche, da steht noch derselbe Küchentisch. Es ist auch der gewohnte Blick aus dem Fenster, das gleiche Licht, die bekannten Geräusche, alles sehr vertraut. Da ist nichts, was ich vermisst habe und doch ist alles ganz anheimelnd. Es sind mehrere Schichten übereinander, das Alte, Vertraute, aber eben keine Rückwendung, sondern alles ist jetzt und aktuell. Und es ist Heimat. Wie viele Heimaten kann ein Mensch haben? Ich fühle mich nämlich gar nicht mehr fremd in meiner neuen Stadt, dort ist auf jeden Fall mein zu Hause. Hier ist es ein Eintauchen in meine eigene Geschichte mit dem Zeigefinger am Herz. Ich konnte meine Ankunft hier krönen, indem ich meine beiden besten Freunde gestern noch getroffen habe. Das wirkt wie Völlerei, Gier, die Beiden, nacheinander, am Ankunftstag noch zu treffen. Aber es war richtig. Das war in Verbundenheit baden. Oh ja, die Zwei vermisse ich in meiner neuen Stadt. Später habe ich Musik gehört: Jupp Götz „Zeit, bleib stehen, ich will mal kurz nach hinten sehen…“ Der trifft es schon recht gut. Aber bei mir braucht die Zeit nicht stehen zu bleiben. Alles ist jetzt und aktuell und doch gibt es diesen anheimelnden Blick nach hinten, ohne sich umzudrehen, das Hinten ist hier vorne.

Viele Leute sagen: „Heimat ist da, wo meine Freunde sind.“ Das sehe ich jetzt auch so. Vielleicht sind es die Freunde, ich glaube, es ist das Gefühl von Verbundenheit, das Heimat ausmacht. Aber ja, die Verbundenheit kommt mit den tiefen, tragenden Freundschaften. In der neuen Stadt ist mein zu Hause, in der alten Stadt ist meine Heimat, denn dort fühle ich mich verbunden, in Freundschaft. 

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