Anna gruselt sich, nein sie hat panische Angst. Sie schreit
um ihr Leben. Sie ist in ihrem Zimmer, im Dunkeln, hinter ihrem Fenster draußen
ist etwas, das sie bedroht. Mit aller Kraft versucht sie die Tür zu öffnen,
aber unmöglich, auf der anderen Seite steht Albert und hält die Tür zu. Es ist
keine Frage von Kraft, das weiß sie, sie muss einfach aushalten, bis Albert
nachgibt, sie freilässt. Aber die Panik
hat sie fest im Griff, da gibt es nur die Tür, die aufgehen muss, um sie aus
der Bedrohung zu retten, zur Familie, ins Warme zu lassen. Bis dahin stemmt sie
sich mit aller Kraft gegen die Zarge, es fällt ihr nicht ein das Licht
anzumachen, sie kann auch nicht zum Fenster gehen, um zu schauen, was ihr da
Angst macht, sie kann nichts machen, außer schreien. Albert hält nur die Tür
zu. Es ist ihre Angst, die sie übermannt, lähmt, sie weiß gar nicht, warum sie
so viel Angst hat. Aber diese Bedrohung, da draußen am Fenster stellt ihr die
Nackenhaare auf, sie muss hier weg, der Moment ist schrecklich lang. Albert
hört die Panik in ihrer Stimme und lässt sie frei.
Einmal waren sie in Emden zu Besuch bei Freunden. Eigentlich
eine schöne Sache. Morgens wacht Anna auf, das Haus ist noch ruhig, sie weiß,
dass sie noch nicht aufstehen darf, um im fremden Haus herumzugeistern. Neben
ihr liegt Albert auf der Matratze, er liest. Anna möchte bespaßt werden und
gängelt ihn. „Ich kann Dir aus meinem Buch vorlesen, wenn Du willst.“ Sie
inspiziert den Buchdeckel. „Der Untergang des Hauses Usher“, sie weiß es, es
sind gruselige Kurzgeschichten. „Lies mir eine vor, die nicht so gruselig ist,
Du weißt, wie sehr ich mich ängstige!“ Er liest. So geht das, eigentlich ist es
auch angenehm, so gemütlich auf der Matratze, Albert liest vor, ungefährlich.
So, am lichten Morgen kann sie die
Geschichte auch gut aushalten. Aber sie
ahnt, dass sie sich nicht gut tut. Diese Geschichten sind Futter für ihre
Ängste, irgendwann, wenn sie allein ist, vielleicht im Dunkeln, wird ihr das
alles wieder einfallen und ihr Angst machen.
Alberts Freunde sind Zwillinge, sie wohnen direkt nebenan.
Einmal ist es vorgekommen, dass deren Eltern über Nacht nicht zu Hause waren.
Albert durfte dort übernachten, eine einmalige Gelegenheit. Keiner weiß wie
Anna das hingekriegt hat, dass sie auch mit durfte. Jedenfalls hatten sie sie
am Hacken. Albert und die Zwillinge schliefen im Ehebett, Anna sollte im
Kinderzimmer, das direkt an das Elternschlafzimmer anschloss, übernachten. Nach
einem Umbau war es nun so, dass das Kinderschlafzimmer kein Fenster mehr hatte.
Die Zwillinge schliefen dort ja jede Nacht, aber Anna war fest der Ansicht,
dass sie ersticken würde wenn die Tür zum Elternzimmer geschlossen wird. Die
Jungs wollten natürlich ihre Ruhe haben, also warteten sie eine Weile, um dann
die Tür zum Kinderzimmer zu schließen. Da hatten sie ihre Rechnung aber ohne
Anna gemacht. Gespannt wie ein Flitzebogen lag sie hellwach in dem Bett und
wartete darauf, dass die Tür leise geschlossen wurde. Dann stand sie auf, ging
hin und erklärte, dass sie ersticken würde. Die Zwillinge, die meistens etwas
langmütiger mit ihr waren als Albert, erklärten ihr, dass sie jede Nacht zu
zweit nicht erstickten. Aber sie blieb eisenhart, das geht nicht! Sie nervte
kolossal, das war ihr klar, aber sie konnte nicht anders. Die Episode hat einen
unklaren Ausgang, ist sie dann doch eingeschlafen, oder haben die Jungs
aufgegeben?
Sie zanken mal wieder, es ist eine rein verbale
Auseinandersetzung, bisher. Aber natürlich ist Anna auch verbal unterlegen.
Manchmal ist es so wie jetzt, sie knickt plötzlich ein. Sie kann nicht mehr
wütend sein, sondern nur noch traurig, verletzt und ängstlich, also rennt sie
davon. Albert verfolgt sie. Anna rennt zur Haustür, dem sicheren Hafen, zur
Mutter. Als sie an der Tür ankommt passiert das, was sie eigentlich gar nicht
will: sie fängt an zu weinen. Die Aussicht auf das wenige Mitgefühl, das sie
von ihrer Mutter bekommt, lässt sie weinen. Albert gibt die Verfolgung auf, als
sie die Türklinke in der Hand hat, sieht die Tränen und spuckt ihr das Wort
„Petze“ hinterher. Sie will ja gar nicht petzen, das lohnt sich auch nicht.
Ihre Mutter wird nur sagen: „ihr sollt nicht immer streiten!“ Und damit ist das Thema für sie erledigt.
Es ist Weihnachten. Anna ist beseelt von dem Fest und von
dem Versuch Aller bei Harmonie zu bleiben. Außerdem ist sie gierig, wie
jedesmal. Die Eltern, die großen Brüder, da kann man einiges erwarten. Diesmal
gibt es ein großes Geschenk von Albert, Anna ist überrascht und packt es aus.
Es ist ein Brettspiel, die Alpenreise, toll, sie will es am liebsten sofort
spielen. Dann entdeckt sie es: er hat mit Kugelschreiber auf den Deckel
geschrieben: „von Albert für Anna“ Sie ist empört, wie kann er ihr Spiel so
verhunzen. Sie ist nicht empfänglich für die Zugewandtheit und Vorfreude, die
er empfunden haben muss, als er das geschrieben hat. Ein Glück steht das da
nach über 40 Jahren immer noch auf dem Deckel, in seiner damals schon typischen
Handschrift. Seit vielen Jahrzehnten ist sie jedesmal empfänglich und freut
sich, wenn sie es liest: „von Albert für Anna“
Sie sind unterwegs, wie so oft, mit den Eltern in
Frankreich. Das ist kein wirklicher Urlaub. Der Vater arbeitet als
Sachverständiger auf Fabrikdächern in irgendwelchen Provinzkäffern. Die Mutter
hat den typischen Assistenz-Sekretärin-Ehefrauen-Job. Albert und Anna
langweilen sich auf der Rückbank des Autos auf langen Landstraßen. Abends
kehren sie ein, in Lastwagenfahrer Unterkünften an der route nationale. So kann
der Vater seinen Spareifer ausleben, sie erleben die französische
Hausmannskost, wenn Gott so in Frankreich lebt, dann ist er arm dran. Häufig
geht es der Mutter nicht gut. Das ganze macht ihr wenig Freude, einmal leidet
sie an Übelkeit. Es ist Hochsommer im Süden Frankreichs. Albert sitzt mit
nacktem Oberkörper auf der Rückbank neben Anna, sie haben beide Fenster offen.
Sie können hier nicht Zanken, wie gewohnt, der Vater ist streng, sie müssen
sich ruhig verhalten. Um der Langeweile zu entrinnen denken sie sich viel
Unsinn aus. Eigentlich ist Albert der Spaßvogel, der immer wieder Ideen hat.
Anna genießt das. Jetzt ist Albert an seinen Titten zugange. An sich findet er
das gar nicht so lustig, dass er mehr Busen hat als seine Schwester, aber zum
Spaß vergleichen sie ihre Körbchengröße. Der Mutter ist schlecht, plötzlich
dreht sie ihr Fenster herunter und kotzt aus dem Auto. Die Flugbahn des
Erbrochenen war eigentlich vorhersehbar, aber Albert war unaufmerksam. So war
er überrascht, als die Bröckchen zu seinem Fenster wieder hereinflogen und ihn
besprenkelten. Der Vater hielt bei der nächsten Gelegenheit an, um sein Auto
mit einem Tuch abzuwischen.
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