Montag, 2. November 2015

Der rote Mond Sie kommt zurück

Sie kommt zurück! Vier Monate war sie weg, vor einigen Tagen hatten sie mal wieder telefoniert, da hat ihre Mutter ihr gesagt, dass sie zurück kommt. Erika hat das überhaupt nicht verstanden. Sie hatte ihre Mutter einige Male in Köln besucht. Schon beim ersten Besuch war auffällig, wie gut es ihrer Mutter dort geht, sie sah so gut und zufrieden aus. Damals war Muttertag und auf dem Tisch stand ein riesiger Strauß Baccara Rosen, vom  Vater natürlich, Fleurop. Erika hat sich sehr abfällig über ihren Vater und sein Bemühen geäußert, ihre Mutter hat nichts dazu gesagt. Nach kurzer Zeit hatte ihre Mutter sogar Arbeit in ihrem alten Beruf. Erika war ganz schön stolz auf sie und obwohl sie ihr zu Hause so sehr fehlte, hat sie sich über ihre Entwicklung gefreut.
„Warum willst wiederkommen, es geht dir doch gut dort?“ Erika war fassungslos über die Entscheidung ihrer Mutter. „Vater hat versprochen, dass er sich ändert.“ Erika hat noch nie erlebt, dass er irgendwas ändert, so gesehen ist er verlässlich, immer die gleiche Scheisse. „Und du glaubst ihm das?“ Erika wundert sich sehr über ihre Mutter, die weiß doch eigentlich noch mehr über ihn. „Ja, ich glaube ihm!“ Na dann mach mal, denkt Erika. „Tja, Mutter, dann komm nach Hause, ich freue mich.“ Wenige Tage später ist die Mutter wieder da. Erika freut sich sehr, ihre Mutter hat ihr schmerzlich gefehlt. Das Abiturjahr fängt bald an und es ist schon gut, wenn alles wieder beim Alten ist. Die Mutter ist nachmittags angekommen, abends, der Vater ist schon schlafen gegangen, dreht Erika in ihrem Zimmer die Musik auf und macht sich fertig zum Ausgehen. Die Mutter kommt rein: „Mach die Musik leise, Vater schläft. Wo willst du denn jetzt noch hin?“ Fragt sie, als sie sieht, dass Erika sich die Schuhe anzieht. „Mutter! Misch dich nicht ein! Was willst du jetzt? Wir sind hier gut klargekommen und ich gehe jetzt in die Kneipe.“ Erst jetzt merkt Erika, was in den letzten Monaten alles passiert ist. Sie hat sich abgenabelt von ihrer Mutter, vielleicht nicht vollständig, aber doch soweit, dass sie ihrer Mutter jetzt diese Antwort hinschmiert, sie zur Seite schiebt und einfach aus dem Haus geht.
Auf dem Weg in die Kneipe wundert sie sich. Da scheint soviel passiert zu sein, in ihr… und sie hat das nicht gemerkt. In der Kneipe holt sie sich ein Bier und ist zum ersten Mal froh, dass sie alleine sitzt. Sie muss nachdenken, sie muss diese Veränderung nachvollziehen. Sie war von der Unabhängigkeit der Reaktion ihrer Mutter gegenüber völlig überrascht. Sie war doch immer so liebevoll, so harmoniebedacht. Ja, Erika hat sich an ihrer Mutter immer so festgehalten und damit ihrer Mutter auch Halt gegeben. Anscheinend kann Erika jetzt besser alleine stehen. Aber eigentlich ist es doch unnötig ihre Mutter gleich am ersten Abend so zurückzuweisen…sind da doch auch Rachegefühle, weil sie sie so alleine gelassen hat? Und mit diesem Suizidversuch wollte ihre Mutter sie ja auch allein lassen… das fällt ihr gerade zum ersten Mal auf… das ist doch eigentlich ganz schön egoistisch.
Ihr Thomas kommt zur Tür rein, noch einige Freunde im Schlepptau. Sie holen an der Theke einen Stiefel Altbier und kommen zu Erika an den Tisch. Eigentlich ist das so sehr nach Erikas Geschmack, Thomas weiß schon genau, was Erika sich von ihm wünscht. Sie fühlt sich zugehörig, alle kommen zu ihr, die ganze Kneipe sieht das, dass fünf gutaussehende Jungs zu IHR an den Tisch gehen. Stiefel trinken ist darauf ausgelegt ganz schnell betrunken zu werden. Wer den vorletzten Schluck trinkt, muss den nächsten Stiefel bezahlen. Außerdem ist es ziemlich lustig, weil man sich gerne mal dabei mit Bier besudelt. Normalerweise wäre diese Situation also ein Fest für Erika. Die Zugehörigkeit zu diesen coolen Typen, die alle schon studieren. Als einziges Mädchen mit am Tisch sitzen, keine weibliche Konkurrenz, sie kann sich probieren und auch mal ein bisschen mit den Augen plinkern, was sie sich sonst selten traut. Alle saufen wie die Löcher, das macht sie ja auch gerne. Aber sie muss ihre Gedanken verstauen, an einer Stelle wo sie sie bald wiederfinden kann. Sie mag sich davon im Moment nicht lösen. Das erschien ihr gerade so wichtig, so erhellend, sie war mittendrin, jetzt muss sie umschalten auf sinnloses Gequatsche, Gejohle und Gekicher. Am liebsten würde sie sagen: „setzt euch woanders hin, ich muss noch ein bisschen allein sein und nachdenken, ich komme gleich zu euch.“ Aber das macht sie nicht, sie meint, sie müsse Thomas` Offerte mit offenen Armen empfangen, sonst würde sie ihm nicht gerecht. Sowas in der Art. Sie hat keine Zeit das jetzt genau auseinander zu klamüsern. Wenn Thomas so sehr ihre Sehnsüchte erfüllt, dann muss sie da sofort und unbedingt drauf einsteigen.

Aber diese Gedanken waren so ungewohnt und spannend. Rache war noch nie Thema, ihrer Mutter gegenüber und egoistisch…? Ihre Mutter ist doch Altruismus pur. Das muss in eine Schublade, die jederzeit wieder aufgeht, aber schnell jetzt, sie hat ja schon den Stiefel in der Hand, seeliges Vergessen ist angesagt.

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