Samstag, 14. November 2015

Der rote Mond Treffer...versenkt

Otto feiert wieder…sehr gut. Das wird bestimmt wieder super. Erika hat nichts anderes vor, deswegen ist sie schon mittags nach Hannover gefahren, um Otto bei den Vorbereitungen zu helfen. Sie lungert in Ottos WG herum, von Vorfreude erfüllt, so gefällt ihr das Leben. Die Vorfreude kleidet ihren Hohlkörper aus, wenn sie nach innen horcht klingt der Ton angenehm. Sie inspiziert das Zimmer in dem sie später übernachten soll. Eine Mitbewohnerin von Otto ist nicht zu Hause. Erika schaut sich alles genau an, sie ist neugierig, ja, aber es ist mehr, sie will eintauchen in dieses fremde Leben. Sie berührt Nippes, liest alte Ansichtskarten, die an Bücher angelehnt sind, blättert in den Zeitschriften, die herumliegen. Es ist noch viel Zeit, bis die ersten Leute kommen, also fängt sie ein Buch an, Gruppenbild mit Dame. Das liest sich ganz schön langweilig, aber was man von Böll so mitkriegt scheint der ja ganz gut drauf zu sein, so links und so, also kämpft sie sich durch die Seiten, er müsste doch was zu sagen haben.
Otto holt sie in sein Zimmer, das ist eine willkommene Abwechslung, er will mit ihr reden, sie soll die Tür schließen, spannend, was hat er denn? Hinter seinem Schreibtisch verschanzt redet ungewohnt leise. „Pass auf Erika! Ich möchte, dass du dich heute mal anders benimmst als sonst. Du willst immer im Mittelpunkt stehen, das hier ist aber meine Party, deswegen steht dir diese Rolle keineswegs zu. Du machst das jedesmal und das geht mir gehörig auf den Wecker, und nicht nur mir, gestern hat Willy zu mir gesagt, na, wird sich deine Schwester wieder in die Mitte spielen und die Party reißen? So geht das nicht, Erika! Heute benimmst du dich mal, oder das war die letzte Party bei der du dabei bist.“ Erika kann nichts mehr sehen. Alles verschwimmt rot. Sie stottert „ah…eh...ja..ist gut. Eh…, ich weiß nicht…eh…ja mach ich…“ Mit etwas Glück erreicht sie das Zimmer der Mitbewohnerin. Sie weint, sie weint und weint. Noch nie in ihrem Leben hat sie sich so getroffen gefühlt. Sie muss immer weiter weinen und sie schämt sich so.  Nie wieder kann sie dieses Zimmer verlassen, nie wieder kann sie jemandem in die Augen sehen. Die Tränen versiegen, aber sie liegt weiter verwundet auf dem Bett und muss sich den Bauch halten. Otto war so eindringlich und es gibt niemanden, dessen Kritik so treffsicher ist, wie Otto.
 Sie kann sich überhaupt nicht erinnern jemals im Mittelpunkt gewesen zu sein. Was hat sie denn mit Mittelpunkt zu tun? Sie wird doch immer einfach gar nicht wahrgenommen, seit ihrer Kindheit muss sie darum kämpfen, dass sie nicht vergessen wird, immer fühlt sie sich wie ein hässlicher Regenschirm, der gerne bei Gelegenheit mal stehen gelassen wird. Aber sie schämt sich so und sie fühlt sich so getroffen und gleichzeitig versteht sie die Welt nicht mehr. Die Kritik ist nicht an ihr vorbeigeglitten, oder abgeprallt, nein, das war Treffer-versenkt. So fühlt es sich an, aber sie kann es nicht sehen, wo immer sie in ihrer Erinnerung schaut, sie findet sich nicht im Mittelpunkt. Andererseits muss sie sich eingestehen, dass die Bühne eine leckere Verheißung ist. Die Phantasie, dass sie da oben steht und unten alle an ihren Lippen hängen, ja… das ist warm und süss. Sie fühlt sich getroffen, kann dieses Zimmer nie wieder verlassen, tja, da muss wohl was sein. Das ist eine komische Situation: sie muss jetzt ein Verhalten vermeiden, von dem sie nicht weiß, dass sie es tut

Thomas wäre jetzt die absolute Unterstützung. Wenn der käme, dann könnte sie sich einfach an ihm festhalten. Mit ihm könnte sie vielleicht darüber reden. Aber er hat ihr ja kürzlich auch eine reingewischt. Daran wollte sie eigentlich überhaupt nicht denken. Thomas…so eine Scheiße…
Er ist nach Bremen gezogen, das ist jetzt nicht so schlimm, ist ja nicht so weit weg. Er hat dort mit einer Frau eine 2-er WG aufgemacht. Erika hat ihn dort schon mehrfach besucht. Das letzte Mal, als sie reingestürmt kam und ihm um den Hals gefallen ist, hat er sich ziemlich rabiat von ihr losgemacht und ihr gesagt, dass das jetzt nicht mehr geht, dass er mit der Alten jetzt zusammen ist… „Erika, lass das, das geht jetzt nicht mehr, ich liebe dich nicht mehr, ich bin jetzt mit ihr zusammen…“

Ich liebe dich nicht mehr

Wie…was…warum…Was hat sie denn da wieder verpasst? Diese wunderbare Freundschaft, und er hat sie geliebt und sie hat das einfach nicht kapiert? Und jetzt ist es vorbei?


Was für ein Verlust! Nein, an Thomas kann sie jetzt nicht denken. Das ist zu schmerzhaft, sie ist ja sowieso schon so fertig wegen Otto. Hat sich die ganze Welt gegen sie verschworen? Wann wird sie diese Scheiß-Welt eigentlich mal verstehen und ihren ewigen Dreisprung von Fettnapf zu Fettnapf lassen. Wird es eine Zeit geben, wo sie souverän durch die Welt spaziert, die Dinge versteht, die sie sieht und einfach entspannt ihren Weg geht? Anpassung ist weiterhin unmöglich. Lieber sterben als klein bei geben. Sie hat nichts gegen diese Normalos, aber es kann nicht sein, dass das was andere denken mögen, ihr Dasein bestimmt. Sie will auf jeden Fall weiterhin ihren Impulsen folgen, sie könnte gar nicht argumentieren, warum das so einen Stellenwert bei ihr hat, völlig egal, es bleibt dabei. Die Handbremse! Sie muss jetzt eine Handbremse einrichten! Otto hat sie ins Mark getroffen, eigentlich versteht sie da einiges nicht, aber doch: Handbremse. Wenn sie ordentlich angeschickert ist…und in diese wunderbare Energie kommt…wo das Leben, der Zustand, die Party einfach nur geil ist, sie sich selbst unfassbar inspirierend und lustig findet…da muss es sein! Da muss die Handbremse angezogen werden. Sie kann sich so gar nicht von außen sehen, aber doch, irgendwie ist sie sicher, dass Otto das meint. Da muss die Bremse rein, wie Schade, auch ein Verlust

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