Was will ich nicht alles sein, für meine Tochter. Wenn ich
meine Ansprüche an mich da anschaue, bekomme ich Kopfschmerzen. Ich schaue auf
ein riesiges Knäuel, die Enden sind versteckt, das Knäuel verstellt mir den
Blick. Also gut: Kopfschmerzen und erst mal ein loses Ende ausfindig machen.
Ich will perfekt sein. Das ist klar, aber auch abgegessen.
Perfektion ist ausgeschlossen, wer perfekt sein will zerfranzt sich in seinen
Ansprüchen an sich selbst. Klar soweit, aber wenn ich den Wollball anschaue,
dann steht da doch schon wieder Perfektion drauf. Ich bin von mir selbst
genervt (nicht hilfreich!) und wische den Begriff beiseite, suche weiter nach
einem Ende. Ich will eine gute Mutter sein, was will ich da? Für sie da sein,
wenn sie mich braucht. Unaufdringlich. Was ist mit meinen Bedürfnissen?
Irgendwie sollen die in den Hintergrund, aber ich kann mich in der Beziehung ja
nicht unterdrücken, das geht wahrscheinlich nicht gut, das Unterdrückte bleibt
wohl trotzdem anwesend. Meine Bedürfnisse: ich will das Band nicht loslassen.
Ich bin ambivalent, ich finde es toll, dass sie auf eigenen Füssen steht, ihr
Leben in die Hand nimmt, von mir endlich völlig unabhängig ist. Es gibt aber
auch einen Teil in mir, der sich entmachtet fühlt. Meine zunächst schützende,
mütterliche Hand ist mit einem endgültigen Plopp aus ihrer Lebenshülle entfernt
worden. Die Beziehung bleibt die Gleiche, ich bleibe Mutter, will gar nicht
Freundin sein, inhaltlich gibt es die Veränderung. Das mütterliche Band, das
Nährende, das Schützende, das jahrzehntelang wie eine verlängerte Nabelschnur
gewirkt hat, ist durchschnitten. Es hat mein Leben ausgemacht, mein Sein
geprägt. Jetzt muss ich mich dringend davon verabschieden. Meine Hand reicht
nicht mehr in fremdes Leben hinein, meine allmächtigen Flügel sind gestutzt,
ich kann und muss mich nur noch um mich selbst kümmern. Dieses Zurückgeworfen
sein auf mich selbst ist schmerzlich, weil es wenig ist. Mein eigenes Sein war
mir lange Zeit nicht so wichtig wie Ihres. Nun bin ich auf dieses kleine Leben
reduziert. Ich will es mir wieder groß machen. Es gibt das Sprichwort: der
Wunsch ist der Vater des Gedanken. Hier zeigt sich mein Problem: ich bin bei
Wünschen und Gedanken, wo ich nicht hinkomme sind die Gefühle und da ist das
Knäuel. Meine Gedanken können mit dem Leben mithalten, ich bin meistens bereit
Veränderungen wahrzunehmen und meine Schlüsse daraus zu ziehen. Das Andere,
meine Seele, mein Bauch, mein Herz, wo immer ich das ansiedeln will, meine
Gefühle, sind so träge, das hinkt so hinterher, einbeinig auf einer Krücke.
Immer wieder muss ich diese traurige Einbeinige einsammeln, trösten und
mitnehmen. Sie muss beachtet werden, anders komme ich keinen Schritt voran,
aber sie humpelt leise und unauffällig am Straßenrand, sie ruft nicht mal
Hallo, oder so. Immer wieder übersehe ich sie, brause mit meinem hochnäsigen
Gedanken-Porsche laut an ihr vorbei, doch die tollste Hirnakrobatik hilft mir
nichts, ich muss doch zurück und sie einsammeln. Und jedes Mal von Neuem, muss
ich sie einsammeln. Immer wieder zurück zu meiner Traurigkeit, den Verlust
spüren: ich bin nicht mehr mächtig, ich bin nicht mehr wichtig. Alle Beziehung,
die wir jetzt haben ist ohne Geschichte. Es ist gar nicht die große Angst das
Kind zu verlieren. Ich glaube fest daran, dass wir eine schöne, freundliche,
freudvolle Beziehung zueinander aufbauen können oder schon haben. Aber ich muss
mich halt von dieser alten Allmachtsphantasie verabschieden und das immer
wieder, Bröckchen für Bröckchen. Also lege ich den Rückwärtsgang ein, hole sie
ab, doch sie fährt nur einige Meter mit mir, legt einen kleinen Brocken auf das
Armaturenbrett und verlässt meinen Hirn-Porsche ohne dass ich es merke. Wie oft
muss ich noch rückwärts, wie kann ich sie überreden, dass sie da bleibt, die
einbeinige, traurige Alte?
Das ist das Knäuel, jetzt sind wenigstens meine
Kopfschmerzen weg, aber ich frage mich, wie viele Kapitel über das Muttertier
ich wohl noch schreiben muss, bis das Knäuel mir nicht mehr den Blick
versperrt?
Doch, doch, natürlich, eine Beziehung mit Geschichte, mit
der Geschichte von einer Nabelschnur, die aber schon durchgeschnitten ist. Eine
Herkunft, in Liebe verbunden, aber keine Schuld und keine Macht, sondern
freiwillige Entscheidung für die Verbindung. So ungefähr könnte es hinter dem
Knäuel aussehen, stelle ich mir vor. Schön wär das. Aber ich muss mich wohl
erst mit der flüchtigen Alten anfreunden, bevor ich den freien Blick auf meine
erwachsene Tochter bekomme. Ich scharre schon wieder mit den Hufen, …ruhig Brauner…,
Geduld ist erste Bürgerpflicht. Immer wieder sage ich mir: sei geduldig und
großzügig mit dir selbst. Jetzt auch.
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