Samstag, 7. November 2015

Das Muttertier benzinblau


Was will ich nicht alles sein, für meine Tochter. Wenn ich meine Ansprüche an mich da anschaue, bekomme ich Kopfschmerzen. Ich schaue auf ein riesiges Knäuel, die Enden sind versteckt, das Knäuel verstellt mir den Blick. Also gut: Kopfschmerzen und erst mal ein loses Ende ausfindig machen.
Ich will perfekt sein. Das ist klar, aber auch abgegessen. Perfektion ist ausgeschlossen, wer perfekt sein will zerfranzt sich in seinen Ansprüchen an sich selbst. Klar soweit, aber wenn ich den Wollball anschaue, dann steht da doch schon wieder Perfektion drauf. Ich bin von mir selbst genervt (nicht hilfreich!) und wische den Begriff beiseite, suche weiter nach einem Ende. Ich will eine gute Mutter sein, was will ich da? Für sie da sein, wenn sie mich braucht. Unaufdringlich. Was ist mit meinen Bedürfnissen? Irgendwie sollen die in den Hintergrund, aber ich kann mich in der Beziehung ja nicht unterdrücken, das geht wahrscheinlich nicht gut, das Unterdrückte bleibt wohl trotzdem anwesend. Meine Bedürfnisse: ich will das Band nicht loslassen. Ich bin ambivalent, ich finde es toll, dass sie auf eigenen Füssen steht, ihr Leben in die Hand nimmt, von mir endlich völlig unabhängig ist. Es gibt aber auch einen Teil in mir, der sich entmachtet fühlt. Meine zunächst schützende, mütterliche Hand ist mit einem endgültigen Plopp aus ihrer Lebenshülle entfernt worden. Die Beziehung bleibt die Gleiche, ich bleibe Mutter, will gar nicht Freundin sein, inhaltlich gibt es die Veränderung. Das mütterliche Band, das Nährende, das Schützende, das jahrzehntelang wie eine verlängerte Nabelschnur gewirkt hat, ist durchschnitten. Es hat mein Leben ausgemacht, mein Sein geprägt. Jetzt muss ich mich dringend davon verabschieden. Meine Hand reicht nicht mehr in fremdes Leben hinein, meine allmächtigen Flügel sind gestutzt, ich kann und muss mich nur noch um mich selbst kümmern. Dieses Zurückgeworfen sein auf mich selbst ist schmerzlich, weil es wenig ist. Mein eigenes Sein war mir lange Zeit nicht so wichtig wie Ihres. Nun bin ich auf dieses kleine Leben reduziert. Ich will es mir wieder groß machen. Es gibt das Sprichwort: der Wunsch ist der Vater des Gedanken. Hier zeigt sich mein Problem: ich bin bei Wünschen und Gedanken, wo ich nicht hinkomme sind die Gefühle und da ist das Knäuel. Meine Gedanken können mit dem Leben mithalten, ich bin meistens bereit Veränderungen wahrzunehmen und meine Schlüsse daraus zu ziehen. Das Andere, meine Seele, mein Bauch, mein Herz, wo immer ich das ansiedeln will, meine Gefühle, sind so träge, das hinkt so hinterher, einbeinig auf einer Krücke. Immer wieder muss ich diese traurige Einbeinige einsammeln, trösten und mitnehmen. Sie muss beachtet werden, anders komme ich keinen Schritt voran, aber sie humpelt leise und unauffällig am Straßenrand, sie ruft nicht mal Hallo, oder so. Immer wieder übersehe ich sie, brause mit meinem hochnäsigen Gedanken-Porsche laut an ihr vorbei, doch die tollste Hirnakrobatik hilft mir nichts, ich muss doch zurück und sie einsammeln. Und jedes Mal von Neuem, muss ich sie einsammeln. Immer wieder zurück zu meiner Traurigkeit, den Verlust spüren: ich bin nicht mehr mächtig, ich bin nicht mehr wichtig. Alle Beziehung, die wir jetzt haben ist ohne Geschichte. Es ist gar nicht die große Angst das Kind zu verlieren. Ich glaube fest daran, dass wir eine schöne, freundliche, freudvolle Beziehung zueinander aufbauen können oder schon haben. Aber ich muss mich halt von dieser alten Allmachtsphantasie verabschieden und das immer wieder, Bröckchen für Bröckchen. Also lege ich den Rückwärtsgang ein, hole sie ab, doch sie fährt nur einige Meter mit mir, legt einen kleinen Brocken auf das Armaturenbrett und verlässt meinen Hirn-Porsche ohne dass ich es merke. Wie oft muss ich noch rückwärts, wie kann ich sie überreden, dass sie da bleibt, die einbeinige, traurige Alte?
Das ist das Knäuel, jetzt sind wenigstens meine Kopfschmerzen weg, aber ich frage mich, wie viele Kapitel über das Muttertier ich wohl noch schreiben muss, bis das Knäuel mir nicht mehr den Blick versperrt?

Doch, doch, natürlich, eine Beziehung mit Geschichte, mit der Geschichte von einer Nabelschnur, die aber schon durchgeschnitten ist. Eine Herkunft, in Liebe verbunden, aber keine Schuld und keine Macht, sondern freiwillige Entscheidung für die Verbindung. So ungefähr könnte es hinter dem Knäuel aussehen, stelle ich mir vor. Schön wär das. Aber ich muss mich wohl erst mit der flüchtigen Alten anfreunden, bevor ich den freien Blick auf meine erwachsene Tochter bekomme. Ich scharre schon wieder mit den Hufen, …ruhig Brauner…, Geduld ist erste Bürgerpflicht. Immer wieder sage ich mir: sei geduldig und großzügig mit dir selbst. Jetzt auch.

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