Da ist was, was sie nur Corinna erzählen kann, es brennt so
sehr. Sie war doch wieder bei ihm, in Südtirol. Sie kam wieder vorfreudig
erregt zur Tür rein, wieder machte er ein nettes Gesicht und erzählte ihr
gleich von einer Reise, die er kürzlich mit seinen Freunden gemacht hat. Er
sprach so beiläufig davon, als wäre es ein kleines Geschichtchen: Sie waren in
Deutschland unterwegs, und nicht nur das, sie waren bei ihr um die Ecke. Sie
sind durch ihren Ort gekommen und haben ein paar Kilometer weiter Urlaub
gemacht. Sie verstand die Nachricht. Sie redete noch ein paar Sätze mit ihm, um
ihr Gesicht zu wahren, sie war auch freundlich und unverbindlich. Die Nachricht
hatte sie sofort in ihrem Bauch in dickes Eis eingefroren. Sie quatschten noch
kurz, dann konnte sie gehen, ohne davonzurennen. Nachts lag sie allein in ihrem
Bett, das Eis in ihrem Bauch brach auf, die Neuigkeit verbrannte ihr Herz.
Eigentlich hätte sie stöhnen müssen, aber ihr Bruder und seine Freundin
schliefen auch in dem Zimmer. Sie musste das alles lautlos erleben, der Schmerz
war so… sie hatte das Gefühl, sie müsse sich das Herz herausreißen. Da lag sie,
ganz allein in einem fremden Bett, übermannt vom schlimmsten Gefühl der Welt.
Die folgenden Tage erlebte sie wie ein Zombie, allein mit ihrem Schmerz, den
sie wieder einfrieren musste. Sie fühlte sich wie Glas, das gesplittert ist.
Sie musste ihre Einzelteile erstmal zusammenklauben, nichts vergessen. Sich
selbst wieder zusammenbauen… später, jetzt aufpassen, dass sie alles mitnimmt.
Keine Teile von sich hierlassen, alles was Erika ist, muss mit nach Hause. Sie
hat den Rest des Lebens Zeit, sich wieder zusammenzupuzzeln. Es gibt keinen
Trost. Ihr großes Herz liegt nutzlos in ihrem Bauch herum, blass und wächsern,
vom Kreislauf abgehängt.
Corinna hat einen Freund. Gut. Toll. Sie hat was erreicht,
was Erika hier so nicht schafft. Ihr stehen Glückwünsche und Anerkennung zu.
Tja. Das ist der Überidiot, den sie sich da geangelt hat. Eigentlich ist Erika
nur schockiert. Der Typ war ihr schon manchmal aufgefallen. Wenn sie abends in
die Kneipe ging, saß er auf der Treppe vor der Tür. Zu betrunken um nach Hause
zu kommen. Das war alles, was sie von ihm mitgekriegt hat. Ein Haufen Elend.
Jetzt sitzt er meistens bei Corinna, wenn Erika nachmittags zu Besuch kommt.
Kaum dass sie zur Tür herein ist, bekommt Erika von ihm das Gefühl zu stören.
Warum macht der sich gleich so breit? Erika ignoriert ihr Gefühl und plaudert
mit den Beiden über Alltägliches, wie sonst auch. Das Gespräch kommt aber nicht
so richtig in Gang, auch Corinna verhält sich anders und ist angespannt. Der
Typ sitzt nur dabei, hält den Arm um Corinnas Schultern und sagt nichts. Erika
gibt bald auf, verabschiedet sich und geht. „Bleib sauber!“ schreit er ihr
hinterher. Was soll die Scheiße? Was will er denn damit sagen? Jedesmal, wenn
Erika die zwei Worte von ihm hört, ist sie genervt. Und es bleibt dabei, sie
hört immer nur die beiden Worte, sonst guckt er nur, beteiligt sich nicht am
Gespräch. Erika zieht sich das immer wieder rein. Sie geht weiter zu Corinna, in der Hoffnung, dass er mal nicht da ist.
Aber er ist da. Erika stellt sich ans Fenster, schaut auf Haus und Garten, aber
nicht mal diesen Anblick von hier oben kann sie noch genießen. Sie stört. Also
geht sie nach kurzer Zeit wieder. „Bleib sauber!“
Erikas Innenleben ist oftmals träge. Die Veränderung bei
Corinna ist da, unübersehbar und ja auch irgendwie willkommen, aber Erika
braucht ihre Zeit. Dass sie sich nicht mehr so schuldig fühlen muss, das ist
gleich klar. Das ist das Willkommene. Aber ihre treueste Begleiterin ist ihr
genommen worden. Das ist doch ein Verlust. Erika geht immer noch hin, wohl um
Corinna ihre Wichtigkeit zu zeigen, auch in der Hoffnung, dass Corinna sich von
dem Blödmann wieder trennt. Nach einer Weile gibt Erika auf. Da wird zwar
nichts ausgesprochen, trotzdem ist es einvernehmlich. Erika stöbert die Zwei
nicht mehr auf, wenn Corinna Zeit und Lust hat, kommt sie rüber. Fatma steht
schon länger zwischen Erika und Corinna, aber Erika träumt davon, dass Corinna
das nicht gemerkt hat. Nun trennt sie dieser Kasper. Also gut. Erika kann sich
unschuldig fühlen, das ist gut. Schuld dreht den Hals zu. Corinna hat diesen
Typ gerettet. Erika sieht ihn kaum noch in der Kneipe, auf der Treppe sitzt er
gar nicht mehr. Corinna hat ihn ins Leben zurückgeholt, aber Erika hat keine
Lust über den Knallkopp nachzudenken. Das war eine feindliche Übernahme, er hat
Corinna für sich genommen, Erika aus Corinnas Leben rausgeschmissen. Das ist
alles so furchtbar, Erika müsste auch darüber nachdenken, dass Corinna das mit
sich machen lässt. Danach käme die Frage, wie sehr Erika Corinna dominiert hat,
ob sie ihr auch nicht gut getan hat? Nein, nein, nein. Solche
Gedanken? Nein.
Die Mutter ist
traurig. Erikas Mutter und Corinna waren ein Herz und eine Seele. Die Beiden
konnten sich gegenseitig was geben. Nun kommt Fatma mehr ins Haus. Aber Fatma
himmelt Erikas Mutter nicht so an, wie die das mag.
Alle lieben Erikas Mutter. Sie wirkt aufgeschlossen, modern
und herzlich. Sie hat schon lange die Ansichten ihrer Söhne übernommen. Dadurch
wirkt sie überhaupt nicht altbacken. Alle Freunde, die ins Haus kommen, werden
akzeptiert, egal wie sie aussehen oder sich verhalten. Die Mutter geht
freundlich und offenherzig auf sie zu und ergattert so ihre Zuneigung im
Handumdrehen. Eigentlich könnten Alle eine Art Fanclub gründen. Immer wieder
hört Erika: „boah, deine Mutter, ist die toll...“ Sowas in der Art. Aber
zwischen Corinna und Erikas Mutter war es noch mehr, noch inniger. Jetzt
klingelt Fatma an der Tür, nicht mehr Corinna. Fatma steht nicht auf
Rattenfänger. Fatma macht sich ganz in Ruhe ihr eigenes Bild. Soviel Zeit hat
Erikas Mutter nicht, sie braucht gleich unbedingte Anerkennung. Fatmas
Langsamkeit verunsichert sie, da ist doch hintendran ein Schneckenhaus, in das
sie sich zurückzieht. Erika wundert sich, dass Fatma aus der Reihe fällt,
findet das aber gar nicht so schlimm. Sie findet Eva zum Kotzen, Fatma hat ein
reserviertes Verhältnis zu ihrer Mutter, das passt doch.
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