Samstag, 25. Juli 2015

Der rote Mond Corinna hat einen Freund

Da ist was, was sie nur Corinna erzählen kann, es brennt so sehr. Sie war doch wieder bei ihm, in Südtirol. Sie kam wieder vorfreudig erregt zur Tür rein, wieder machte er ein nettes Gesicht und erzählte ihr gleich von einer Reise, die er kürzlich mit seinen Freunden gemacht hat. Er sprach so beiläufig davon, als wäre es ein kleines Geschichtchen: Sie waren in Deutschland unterwegs, und nicht nur das, sie waren bei ihr um die Ecke. Sie sind durch ihren Ort gekommen und haben ein paar Kilometer weiter Urlaub gemacht. Sie verstand die Nachricht. Sie redete noch ein paar Sätze mit ihm, um ihr Gesicht zu wahren, sie war auch freundlich und unverbindlich. Die Nachricht hatte sie sofort in ihrem Bauch in dickes Eis eingefroren. Sie quatschten noch kurz, dann konnte sie gehen, ohne davonzurennen. Nachts lag sie allein in ihrem Bett, das Eis in ihrem Bauch brach auf, die Neuigkeit verbrannte ihr Herz. Eigentlich hätte sie stöhnen müssen, aber ihr Bruder und seine Freundin schliefen auch in dem Zimmer. Sie musste das alles lautlos erleben, der Schmerz war so… sie hatte das Gefühl, sie müsse sich das Herz herausreißen. Da lag sie, ganz allein in einem fremden Bett, übermannt vom schlimmsten Gefühl der Welt. Die folgenden Tage erlebte sie wie ein Zombie, allein mit ihrem Schmerz, den sie wieder einfrieren musste. Sie fühlte sich wie Glas, das gesplittert ist. Sie musste ihre Einzelteile erstmal zusammenklauben, nichts vergessen. Sich selbst wieder zusammenbauen… später, jetzt aufpassen, dass sie alles mitnimmt. Keine Teile von sich hierlassen, alles was Erika ist, muss mit nach Hause. Sie hat den Rest des Lebens Zeit, sich wieder zusammenzupuzzeln. Es gibt keinen Trost. Ihr großes Herz liegt nutzlos in ihrem Bauch herum, blass und wächsern, vom Kreislauf abgehängt.
Corinna hat einen Freund. Gut. Toll. Sie hat was erreicht, was Erika hier so nicht schafft. Ihr stehen Glückwünsche und Anerkennung zu. Tja. Das ist der Überidiot, den sie sich da geangelt hat. Eigentlich ist Erika nur schockiert. Der Typ war ihr schon manchmal aufgefallen. Wenn sie abends in die Kneipe ging, saß er auf der Treppe vor der Tür. Zu betrunken um nach Hause zu kommen. Das war alles, was sie von ihm mitgekriegt hat. Ein Haufen Elend. Jetzt sitzt er meistens bei Corinna, wenn Erika nachmittags zu Besuch kommt. Kaum dass sie zur Tür herein ist, bekommt Erika von ihm das Gefühl zu stören. Warum macht der sich gleich so breit? Erika ignoriert ihr Gefühl und plaudert mit den Beiden über Alltägliches, wie sonst auch. Das Gespräch kommt aber nicht so richtig in Gang, auch Corinna verhält sich anders und ist angespannt. Der Typ sitzt nur dabei, hält den Arm um Corinnas Schultern und sagt nichts. Erika gibt bald auf, verabschiedet sich und geht. „Bleib sauber!“ schreit er ihr hinterher. Was soll die Scheiße? Was will er denn damit sagen? Jedesmal, wenn Erika die zwei Worte von ihm hört, ist sie genervt. Und es bleibt dabei, sie hört immer nur die beiden Worte, sonst guckt er nur, beteiligt sich nicht am Gespräch. Erika zieht sich das immer wieder rein. Sie geht weiter zu Corinna,  in der Hoffnung, dass er mal nicht da ist. Aber er ist da. Erika stellt sich ans Fenster, schaut auf Haus und Garten, aber nicht mal diesen Anblick von hier oben kann sie noch genießen. Sie stört. Also geht sie nach kurzer Zeit wieder. „Bleib sauber!“
Erikas Innenleben ist oftmals träge. Die Veränderung bei Corinna ist da, unübersehbar und ja auch irgendwie willkommen, aber Erika braucht ihre Zeit. Dass sie sich nicht mehr so schuldig fühlen muss, das ist gleich klar. Das ist das Willkommene. Aber ihre treueste Begleiterin ist ihr genommen worden. Das ist doch ein Verlust. Erika geht immer noch hin, wohl um Corinna ihre Wichtigkeit zu zeigen, auch in der Hoffnung, dass Corinna sich von dem Blödmann wieder trennt. Nach einer Weile gibt Erika auf. Da wird zwar nichts ausgesprochen, trotzdem ist es einvernehmlich. Erika stöbert die Zwei nicht mehr auf, wenn Corinna Zeit und Lust hat, kommt sie rüber. Fatma steht schon länger zwischen Erika und Corinna, aber Erika träumt davon, dass Corinna das nicht gemerkt hat. Nun trennt sie dieser Kasper. Also gut. Erika kann sich unschuldig fühlen, das ist gut. Schuld dreht den Hals zu. Corinna hat diesen Typ gerettet. Erika sieht ihn kaum noch in der Kneipe, auf der Treppe sitzt er gar nicht mehr. Corinna hat ihn ins Leben zurückgeholt, aber Erika hat keine Lust über den Knallkopp nachzudenken. Das war eine feindliche Übernahme, er hat Corinna für sich genommen, Erika aus Corinnas Leben rausgeschmissen. Das ist alles so furchtbar, Erika müsste auch darüber nachdenken, dass Corinna das mit sich machen lässt. Danach käme die Frage, wie sehr Erika Corinna dominiert hat, ob sie ihr auch   nicht gut getan hat? Nein, nein, nein. Solche Gedanken? Nein.
 Die Mutter ist traurig. Erikas Mutter und Corinna waren ein Herz und eine Seele. Die Beiden konnten sich gegenseitig was geben. Nun kommt Fatma mehr ins Haus. Aber Fatma himmelt Erikas Mutter nicht so an, wie die das mag.

Alle lieben Erikas Mutter. Sie wirkt aufgeschlossen, modern und herzlich. Sie hat schon lange die Ansichten ihrer Söhne übernommen. Dadurch wirkt sie überhaupt nicht altbacken. Alle Freunde, die ins Haus kommen, werden akzeptiert, egal wie sie aussehen oder sich verhalten. Die Mutter geht freundlich und offenherzig auf sie zu und ergattert so ihre Zuneigung im Handumdrehen. Eigentlich könnten Alle eine Art Fanclub gründen. Immer wieder hört Erika: „boah, deine Mutter, ist die toll...“ Sowas in der Art. Aber zwischen Corinna und Erikas Mutter war es noch mehr, noch inniger. Jetzt klingelt Fatma an der Tür, nicht mehr Corinna. Fatma steht nicht auf Rattenfänger. Fatma macht sich ganz in Ruhe ihr eigenes Bild. Soviel Zeit hat Erikas Mutter nicht, sie braucht gleich unbedingte Anerkennung. Fatmas Langsamkeit verunsichert sie, da ist doch hintendran ein Schneckenhaus, in das sie sich zurückzieht. Erika wundert sich, dass Fatma aus der Reihe fällt, findet das aber gar nicht so schlimm. Sie findet Eva zum Kotzen, Fatma hat ein reserviertes Verhältnis zu ihrer Mutter, das passt doch.

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