Samstag, 18. Juli 2015

Der rote Mond Geburtstagsparty

Sie hat Geburtstag. Ist das nun was Tolles? Naja, jedenfalls ist es der Weg zur Freiheit, irgendwann ist sie 18, dann muss sie ja frei sein. Es klingelt leise in ihrem Hinterkopf: äußere Freiheit ist nicht gleich innere Freiheit. Den Gedanken will sie heute aber nicht denken, sie will den Tag genießen. Im Mittelpunkt stehen! Früher hatte sie Erlaubnis an diesem Tag im Mittelpunkt zu stehen. Das hat ihr den Tag versüßt. Beim Frühstück lag immer Flieder um ihren Teller. So schön! Sie durfte sich aussuchen, was es zu Essen gibt, solche Sachen. Das hat jetzt alles keine Bedeutung mehr. Das Geburtstagsgefühl ist nicht mehr groß. Sie muss selber was hermachen. Die Mädchen aus ihrer Klasse werden kommen und Corinna. Das wars.
Ihre treue Corinna kommt bald. Sie unterhalten sich und warten auf die Anderen. Das Warten wird lang, da kommt schon wieder Unsicherheit, ob die Mädchen sie wohl versetzen werden. Erika ist immer noch ängstlich und unsicher mit den Mädchen. Sie fühlt sich nicht fest verankert, sondern nur geduldet, das realisiert sie hier beim Warten mal wieder. Dieser Gedanke ist so unerträglich…. Immer nur geduldet sein…sich immer so anstrengen müssen….da gibt es kein gemütliches Abfläzen und sich bräsig in der Beziehung ausruhen….immer auf der Hut…sie muss immer was tun um Akzeptanz zu ergattern…das fühlt sich aber nie anhaltend an…da sind überall Fetttröge und Abgründe…
Mit Corinna ist das anders. Hier fühlt sie sich ganz aufgehoben, ganz erkannt. Sie spürt ihre Dankbarkeit. Aber, was soll sie tun? Corinna reicht ihr eben nicht. Sie kann das nicht erklären, auch sich selbst nicht. Sie kann es nur spüren. Mit Corinna ist alles gut, aber es ist nicht wichtig.  Dabei ist Corinna so freundlich, sie lässt sich auf Erika ein. Das Warten, die Unsicherheit wird so zum Thema. Sie gehen zusammen zum Gartentor und schauen die Straße hinunter in Erwartung der Mädchenclique. Während sie hier stehen und angestrengt versuchen die Mädchen mit den Augen herbeizuzaubern, unterhalten sie sich zum x-ten Mal über Erikas letzten Urlaub in Südtirol.
Nach den herausragenden Herbsttagen hatte Erika von ihrem Peter einen Brief bekommen. Den trug sie natürlich ständig bei sich, wie eine Trophäe. Immer wieder blätterte sie ihn vorsichtig auf, um ihn zu lesen (obwohl sie ihn natürlich längst auswendig konnte), oder auch um ihn nur anzuschauen, die Handschrift bewundern und so. Immer wieder suchte sie nach Liebeshinweisen in seinem Text, aber das brauchte sie ja gar nicht, der Brief an sich war der ultimative Liebeshinweis. So fuhr sie wieder voller Zuversicht und Vorfreude dorthin, sie fühlte sich sicherer als zuvor. Für Erika ein ungewohntes Gefühl. Sicherlich sehr angenehm, aber irgendwo seitlich nagte Zweifel, weil sie sich sicher fühlte. Der Urlaub verlief nicht anders als sonst: tagsüber wandern, abends unauffällig wegstehlen und die Zeit mit Peter genießen. Erikas ältester Bruder war diesmal dabei, sie schliefen in einem Zimmer, er deckte ihre Unternehmungen. Sie war ihm dankbar, genoss auch die Verschworenheit mit ihm. Er achtete darauf, dass sie morgens rechtzeitig aus dem Bett kam und beim Frühstück einen aufgeräumten Eindruck machte. Nachts war sie lange unterwegs, glückselig. Zum Ende des Urlaubs wurde ihre Müdigkeit immer bleierner. Den letzten Abend gestaltete Peter recht romantisch. Sie waren nur zu Zweit unterwegs, Zeit für Nähe, Vertrautheit, die Beziehung noch mal bestätigen, damit die kommende Trennungsphase besser überstanden wird. Aber Erika war so schrecklich müde. Die Zwei saßen im Auto, mit Blick über das weite Tal, nachts blinkten die Lichter da unten so hübsch, die Berge setzten sich behütend gegen den Nachthimmel ab. Nur Peter und Erika. Und Erika nickte ständig ein. Sie hat eigentlich kaum Erinnerung an den Abend, weil sie so fertig war.
All das ist Thema der Unterhaltung mit Corinna am Straßenrand, wie sie da stehen und angestrengt spähen. Eine Neuigkeit hat Erika noch zu Erzählen: sie hat schon wieder erfolgreich arrangiert! Ihr zweitältester Bruder, auch ein Südtirol-Begeisterter, wird im Sommer einige Tage mit seiner Verlobten dorthin fahren. Erika hat schon mal klar gemacht, dass sie in den Sommerferien zwei Wochen in Bayern bei der Familie der Verlobten zu Besuch ist. So kann sie mitfahren! Das ist bald, das ist aufregend, das ist viel wichtiger als Geburtstag haben.
 Komisch eigentlich, dass Fatma noch nicht da ist. Die wohnt doch nebenan. Die könnte wirklich selbstständig kommen. Wahrscheinlich hat sie sich wieder mit ihren Eltern angelegt, Hausarrest. Sie wird wohl gar nicht kommen, Schade. Aber so kann Erika Corinna mal den Platz einräumen, der ihr eigentlich zusteht. Langweilig, ohne Fatma, aber einfach.
Otto ist der Partymeister. Er organisiert tolle Treffen, auch ganz spontan. Bei ihm sind immer alle ganz aufgedreht, machen lustige Sachen und lassen sich richtig volllaufen. So soll das heute Abend auch werden. Erika hat das schon mehrfach probiert, es klappte bisher nicht, warum ist ihr nicht klar. Sie verhält sich entsprechend, sie ist immer ganz aufgedreht, versucht lustige Sachen zu machen und lässt sich ordentlich volllaufen. Solange sie noch geradeaus gucken kann, bemerkt sie, dass die Mädchen sich über die ewig gleichen Themen unterhalten und zurückhaltend an ihren Getränken nippen. Sie lassen sich nicht mitreißen, Erika muss alleine Party machen, die Anderen schauen zu, reserviert, dann gehen sie wieder nach Hause. Am Ende ist Erika betrunken und beschämt. Die Scham spürt sie nicht so richtig, weil sie ja betrunken ist. Sie will sie mitreißen, sie will Anführerin sein, sie will auch bewundert werden. Sie will wichtig sein. Das alles gesteht sie sich aber nicht ein. So wenig, dass sie es gar nicht weiß. Auch ihr Mittelpunktsstreben ist ihr nicht bewusst. Das alles macht ihren Antrieb aus und ist gleichzeitig tabuisiert. Erika meint, sie verhielte sich ziellosen, spontanen Eingebungen folgend. Möglicherweise ist ihr Verhalten für Andere durchschaubar, sogar vorraussehbar. Erika selbst kann sich so wenig sehen, dass ihr Verhalten sie überrascht, oft auch amüsiert. Sie hält sich für vielschichtig, vielleicht sogar tiefgründig.

Endlich ist es soweit. Ganz am Ende der Straße wird eine Gruppe Fahrradfahrer sichtbar. Sie kommen Alle zusammen. Kein Hereinplätschern und sich einzeln einlassen, nein, Alle zusammen. Das findet Erika doof. Sie hat noch etwas Zeit sich darauf einzustellen. Sie geht mit Corinna zurück zum Haus. Sie schenken sich ein Getränk ein und tun so, als hätten sie niemals gewartet, als es klingelt und sie die Tür öffnen.

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