Bei jeder Versetzung wurde die Klasse neu gemischt. Angela,
Helke und andere Mädchen sind verschwunden, abgegangen von der Schule.
Vereinzelte andere Mädchen kamen hinzu.
Aber nach der Versetzung saßen auf jeden Fall die Mädchenreihe und Erika
wieder in gleichen Raum. So hat also das Schicksal zugelassen, dass Erika dazu
gehört. Sie kam am ersten Schultag rechtzeitig ins Klassenzimmer und nahm
einfach selbst in der Fensterreihe Platz. Sie wurde nicht mehr vertrieben, sie
fühlte sich geduldet, so wie bei Otto. Aber sie rückte näher ran und damit war
sie schon zufrieden.
Es gab etwas, was die Mädchen mehr und mehr
zusammenschweißte. Sie entwickelten sich zur Clique und Erika war dabei. Sie
standen alle zusammen zum Rauchen auf der Mädchentoilette, oder, wenn eine
Geburtstag hatte, legten alle zusammen und kauften ein gemeinsames Geschenk. Es
gab eine unausgesprochene Sicherheit, dass nicht ausgeschlossen wird. Erika
spürte bei einigen, dass sie sie nicht mochten, sie wurde kritisiert, oder auch
angefeindet, aber eben nicht ausgeschlossen, sie konnte dabei sein. So kannte
sie es schon von Otto, der Rest würde sich fügen.
Alle sitzen in Fatmas Zimmer, eng beisammen. Fatma hat
Geburtstag, wie üblich sind alle eingeladen. Es ist kurz nach den Osterferien
und Erika erzählt von ihrem Urlaub. Alle hängen an ihren Lippen, so wie sie das
mag, sie ist eigentlich eine ganz gute Erzählerin. Was sie zu Erzählen hat brennt
ihr auch auf der Zunge. Sie sucht dringend nach Zuhörern, sie will diese
Geschichte erzählen, will hören, was andere dazu sagten.
„Ich war mit meiner Freundin Corinna im Urlaub. Das war
toll, wir waren zum ersten Mal zusammen im Urlaub und haben das sehr genossen.
Wir sind mit meiner Mutter und meiner Tante nach Südtirol gefahren, dahin, wo
wir eigentlich immer Osterurlaub machen. Mein Vater war nicht dabei, ein Glück,
so war alles ganz entspannt. Das Wetter war ganz gut und Corinna und ich hatten
es richtig schön. Den Tag haben wir mit meiner Mutter und meiner Tante verbracht,
abends, wenn es dunkel wurde sind wir noch durch das Dorf gestromert. Auf dem
Dorfplatz saßen eines Abends einige einheimische Jungs, die uns angesprochen
haben. Sie haben uns im Cafe zu einer Brause eingeladen und wir haben uns
unterhalten. Da gab es einiges zu reden und zu vergleichen, wie so die Jugend
in Südtirol verläuft, oder eben in einer niedersächsischen Kleinstadt. Als wir
auseinander gingen, waren wir für den nächsten Abend verabredet. Den ganzen Tag
verbrachten Corinna und ich in einem Hochgefühl, wir fühlten uns attraktiv und
interessant. Ständig mussten wir uns darüber unterhalten, welcher von den Jungs
uns gefällt. Wir haben sie sozusagen unter uns aufgeteilt. In bester Stimmung
gingen wir am Abend zu unserer Verabredung. Es waren mehr Jungs da. Aufregend!
Wieder saßen wir im Cafe, bis es zu machte, unterhalten, flirten, schauen,
welcher Junge sich für wen interessiert. Am folgenden Abend gingen wir mit den
Jungs nach dem Cafe noch durch das Dorf spazieren. In einer dunklen Ecke wurde
ein bisschen rumgeknutscht, Corinna mit Mario, der ihr sehr gut gefiel, ich mit
dem Josef. So vergingen die Tage, es war der tollste Urlaub der Welt, wir
fühlten uns großartig. Abends, wenn wir auf den Dorfplatz kamen, waren immer
wieder auch mal neue Jungs da. Corinna und ich kamen um die Ecke am Dorfplatz,
da saß ein Junge, da blieb mir der Atem stehen. Blonde, lange Haare, lebendige
Augen, auf der Gitarre spielte er smoke on the water, aber natürlich nur die
ersten vier Takte. Ich war sofort hingerissen und hatte kein Auge mehr für den
Josef. Der Junge, der wegen seiner Frisur Susi genannt wurde kam mit ins Cafe
und machte mir so richtig den Hof. Ich war begeistert und konnte vor lauter
Glück überhaupt nur noch überquellen. Der Josef saß auch dabei, aber das war
völlig zweitrangig. Vom Cafe aus gingen wir in den Gasthof, der Susis Vater
gehörte, dort spielten wir ein Würfel-Sauf-Spiel. Bei sieben muss man einen
Schnaps trinken, Corinna und ich waren ruck-zuck besoffen und wurden von den
Jungs nach Hause gebracht. Josef war draußen, für immer. Was zwischen den Jungs
an Konkurrenz abging, interessierte mich nicht. Ich war für immer und ewig
verliebt in Susi, das war schon klar. Der bekannte Ablauf, den Abend fröhlich
verbringen, nach Hause gebracht werden mit Zwischenhalt in irgendwelchen
dunklen Ecken, rumknutschen. Ungefährlich und schön. In meinem Bauch
explodierten Glitter-Glanz-Sternenraketen. Ich schwebte. Aber leider vergeht
Zeit und unser Urlaub war bald zu Ende, ich bin soooo verliebt und klar, der
Susi mag mich auch, aber er ist 1000 Kilometer weit weg. Das ist mein Problem.
Ich habe so Sehnsucht nach ihm und ich will nicht hier sein.“
Es gibt ein kurzes Schweigen, als Erika mit ihrem Bericht
fertig ist, dann fängt Susanne an von ihrem Urlaubserlebnis zu berichten. Sie
hat im Schwimmbad einen Jungen kennengelernt und mit dem angebändelt. Erika
hört ernsthaft zu, aber es ist eine fadenscheinige Geschichte und nach und nach
fangen alle an zu kichern. Erika fühlt sich verarscht, Susannes Geschichte ist
eine Antwort auf ihre, sie glauben ihr nicht. Als alle aufbrechen, bedeutet
Fatma Erika noch zu bleiben. Kein Problem für Erika, sie wohnt ja sowieso
nebenan.
„Mach dir nichts draus, Erika, die sind albern, weil sie
keine Ahnung haben. Ich habe in der Türkei einen Jungen, an den ich mein Herz
verschenkt habe. Ich kann dich gut verstehen. Aber das bleibt unter uns!“ Erika
ist beeindruckt. Sie sieht Fatma in einem neuen Licht. Fatma, die Nase,
meistens still, manchmal schießt sie einen Torpedo auf Erika ab, wenn sie sie
blöd findet. Sowas ist Erika ja gewöhnt, wegen ihrer vorlauten Art muss sie
Zurechtweisungen in Kauf nehmen. Aber jetzt gibt es ein Band zwischen ihr und
Fatma, dass die Anderen nicht sehen können.
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