Freitag, 9. Januar 2015

IG Farben Violet


Enttäuscht vom Abend schlendert Violet Richtung Berg. Enttäuscht, aber auch erleichtert. Hier mit den Freundinnen ist sie entspannt, die Situation vorhin, auf der Party hat an ihren Nerven gekratzt. Sie ist dünnhäutig, gerne wäre sie so dickfellig wie Roth, aber solche Feindseligkeit schränkt ihre Beweglichkeit unmittelbar ein. Wie eingefroren stand sie da herum, erleichtert stellte sie fest, dass der DJ ihre Musikwünsche nicht erfüllte, sie hätte sich auf der Tanzfläche gar nicht bewegen können. Nun ist alles unaufgeregt und friedlich. Jetzt haben sie genug über die Weiber auf der Party gezetert, es sind ja immer die Weiber, die konkurrieren, oder fühlen die sich bedroht? Jedenfalls war das anstrengend, nervig, Spiessertussen!
Über dem Berg wird der Himmel schon blau, sie sollten sich beeilen, sonst verpassen sie den Sonnenaufgang. Aber beeilen ist nicht so einfach mit dem Bier in der Hand und im Kopf, außerdem sind ihre Stiefelchen nicht das Richtige zum Wandern. Ein Glück ist hier niemand sonst unterwegs, sie müssen schon einen komischen Eindruck machen: aufgebrezelt für den Samstagabend, mit verschmierten Augen und heruntergefallenem Iro, naja, Roth nicht, die hat keinen Iro, aber die sieht auch komisch aus, stolpern sie hier den Abhang hinauf. Drei Schritte vor, zwei Ausweichschritte zurück, so kommen sie erst mittags an. „Hey Leute, mir reichts, ich will ins Bett!“ „Quatsch nich rum, wir gehen da jetzt rauf!“ Das ist typisch Roth, was die sich einmal in den Kopf gesetzt hat, zieht sie durch. Oftmals verbeißt sie sich irrsinnig, aber trotzdem findet Violet das beeindruckend an ihrer Freundin. Mit dem Kopf durch die Wand, aber eben immer geradeaus.
Keuchend erreichen sie ein Mäuerchen und setzen sich mit Blick nach Osten. Die Sonne ist, wie erwartet, schon aufgegangen, das Bier läuft warm und lecker die trockene Kehle hinunter. So. Da sind sie. Violets Beine vibrieren von der Anstrengung, sie ist Sport überhaupt nicht gewohnt und fragt sich, wie wohl der Abstieg wird, mit ihren Tanzschuhen und der Müdigkeit in den Knochen. Aber den Gedanken wischt sie ganz schnell weg, denn Roth wird ernst und fragt: „Was soll eigentlich mal aus uns werden? Heiraten wir einen reichen Punk und feiern ewig am Straßenrand?“  „Ey, Alte, schreib deine Existenzängste an irgendeine Klotür!“  Genau, Blues hat recht, jetzt keine Ernsthaftigkeit, der Morgen ist jung und da ist noch Bier. „Du willst doch sowieso lieber so einen studierten Politfreak, der immer schlau rumlabert. Wir durchschauen dich, Roth!“ So lenkt Violet das Gespräch lieber auf Roths bürgerliche Strukturen. „Du sagst das wegen Ronnie, der gefällt mir eben. Ich sage ja auch nichts gegen deinen Hans.“ Ok, ok, Roth hat recht, sie haben alle ihr Herz verschenkt. Also lästern sie einfach mal über den von Bionda, die ist ja gerade nicht da. Auch Biondas Herz hängt an einem Unerreichbaren. Der ist verheiratet, klar, schon was älter, wie der aussieht? Naja, Geschmackssache, jedenfalls, wenn der die Laune hat und auftaucht, dann lässt Bionda alles stehen und liegen. Eine ganze Weile reden sie darüber, wie schlau das ist, den Mann seine Bedeutung spüren zu lassen. Dann machen sie sich an den Abstieg. Es geht einfach nur einen gepflasterten Weg  den Hügel hinab, aber in ihrem Zustand ist das eine Leistung. Endlich unten durchqueren sie den Stadtpark, an einer Betonsäule zieht Blues eine Spraydose aus den Tiefen ihrer Jacke und schreibt in blau „Phallus“ an die Säule. Violet flippt völlig aus. „Bist du bescheuert, schleppst die ganze Nacht eine Spraydose rum, wenn wir Bullen getroffen hätten…“ Blues nimmt die Kritik ganz gelassen hin „haben wir aber nicht.“ Violet ist stinksauer und sagt nichts mehr. So eine Situation kann Roth gar nicht aushalten: Dissonanz. Sie ist harmoniesüchtig und versucht mit irgendwelchen Anekdoten die Stimmung zu retten. Die beiden anderen lassen sie plaudern wie ein Radio. An der letzten Kreuzung trennen sich ihre Wege, Violet wohnt bei Bionda, Blues und Roth im besetzten Haus um die Ecke.
An Schlaf ist jetzt nicht zu denken, Violet ist immer noch aufgebracht wegen der Spraydose. Sie tigert durch die Wohnung, auf der Suche nach Beschäftigung. Am frühen Sonntagmorgen ist es nicht so einfach sich zu amüsieren. In der Not fängt sie an abzuwaschen. Aufräumen und putzen kann sie in dieser Wohnung noch stundenlang. In ihrem Magen kocht der Brass weiter vor sich hin. Sie kennt das von sich, sie kommt immer nicht runter. Sie regt sich immer noch über Blues Leichtsinnigkeit auf, kommt aber auch vom Hundertsten ins Tausendste, alles, was sie in letzter Zeit hätte ärgern können, fällt ihr jetzt ein. Die Küche ist soweit ok, sie geht zu Klo und wütet mit der Bürste im Becken. Hausarbeit ist wunderbar körperlich, ihrem Bauch geht es langsam besser. Jetzt Kaffee und Kippe. Sie kocht sich Kaffee und sucht ihre Jacke nach Tabak ab. Da ist nichts, dunkel erinnert sie sich, wie sie ihre leere Tabaktüte auf der Party in eine Ecke geschmissen hat. Diese Party…ein Glück ist das schon recht weit weg…sie will sich jetzt keinesfalls schon wieder aufregen. Auf der Suche nach Rauchwaren durchkämmt sie Küche und Wohnzimmer. Ganz vorsichtig öffnet sie die Tür zu Biondas Zimmer, puh, sie ist nicht da, aber da steht ein voller Aschenbecher. Da sind genug  kalte Kippen, daraus kann sie sich noch fünf Zigaretten drehen, also nur noch Blättchen, davon hängt jetzt ihr Leben ab, aber sie wird jawohl irgendwo in dieser Wohnung ein Blättchen finden. Sie hat die Jacken am Haken durchsucht, in einer Jacke, deren Besitzer unklar ist, findet sie ein altes Paket. Bedächtig formt sie ihre Restezigarette, die sie gleich zu ihrem, inzwischen, kalten Kaffee rauchen will. So. Jetzt geht es ihr gut. Sie hat sich beim Putzen ausgepowert, alles sieht super sauber aus, das gefällt ihr. Noch eine Rauchen und dann ist der Samstagabend endlich rum.


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