Enttäuscht vom Abend schlendert Violet Richtung Berg.
Enttäuscht, aber auch erleichtert. Hier mit den Freundinnen ist sie entspannt,
die Situation vorhin, auf der Party hat an ihren Nerven gekratzt. Sie ist
dünnhäutig, gerne wäre sie so dickfellig wie Roth, aber solche Feindseligkeit
schränkt ihre Beweglichkeit unmittelbar ein. Wie eingefroren stand sie da
herum, erleichtert stellte sie fest, dass der DJ ihre Musikwünsche nicht
erfüllte, sie hätte sich auf der Tanzfläche gar nicht bewegen können. Nun ist
alles unaufgeregt und friedlich. Jetzt haben sie genug über die Weiber auf der
Party gezetert, es sind ja immer die Weiber, die konkurrieren, oder fühlen die
sich bedroht? Jedenfalls war das anstrengend, nervig, Spiessertussen!
Über dem Berg wird der Himmel schon blau, sie sollten sich
beeilen, sonst verpassen sie den Sonnenaufgang. Aber beeilen ist nicht so
einfach mit dem Bier in der Hand und im Kopf, außerdem sind ihre Stiefelchen
nicht das Richtige zum Wandern. Ein Glück ist hier niemand sonst unterwegs, sie
müssen schon einen komischen Eindruck machen: aufgebrezelt für den
Samstagabend, mit verschmierten Augen und heruntergefallenem Iro, naja, Roth
nicht, die hat keinen Iro, aber die sieht auch komisch aus, stolpern sie hier
den Abhang hinauf. Drei Schritte vor, zwei Ausweichschritte zurück, so kommen
sie erst mittags an. „Hey Leute, mir reichts, ich will ins Bett!“ „Quatsch nich
rum, wir gehen da jetzt rauf!“ Das ist typisch Roth, was die sich einmal in den
Kopf gesetzt hat, zieht sie durch. Oftmals verbeißt sie sich irrsinnig, aber
trotzdem findet Violet das beeindruckend an ihrer Freundin. Mit dem Kopf durch
die Wand, aber eben immer geradeaus.
Keuchend erreichen sie ein Mäuerchen und setzen sich mit
Blick nach Osten. Die Sonne ist, wie erwartet, schon aufgegangen, das Bier läuft
warm und lecker die trockene Kehle hinunter. So. Da sind sie. Violets Beine
vibrieren von der Anstrengung, sie ist Sport überhaupt nicht gewohnt und fragt
sich, wie wohl der Abstieg wird, mit ihren Tanzschuhen und der Müdigkeit in den
Knochen. Aber den Gedanken wischt sie ganz schnell weg, denn Roth wird ernst
und fragt: „Was soll eigentlich mal aus uns werden? Heiraten wir einen reichen
Punk und feiern ewig am Straßenrand?“
„Ey, Alte, schreib deine Existenzängste an irgendeine Klotür!“ Genau, Blues hat recht, jetzt keine
Ernsthaftigkeit, der Morgen ist jung und da ist noch Bier. „Du willst doch
sowieso lieber so einen studierten Politfreak, der immer schlau rumlabert. Wir
durchschauen dich, Roth!“ So lenkt Violet das Gespräch lieber auf Roths bürgerliche
Strukturen. „Du sagst das wegen Ronnie, der gefällt mir eben. Ich sage ja auch
nichts gegen deinen Hans.“ Ok, ok, Roth hat recht, sie haben alle ihr Herz verschenkt.
Also lästern sie einfach mal über den von Bionda, die ist ja gerade nicht da.
Auch Biondas Herz hängt an einem Unerreichbaren. Der ist verheiratet, klar,
schon was älter, wie der aussieht? Naja, Geschmackssache, jedenfalls, wenn der
die Laune hat und auftaucht, dann lässt Bionda alles stehen und liegen. Eine
ganze Weile reden sie darüber, wie schlau das ist, den Mann seine Bedeutung
spüren zu lassen. Dann machen sie sich an den Abstieg. Es geht einfach nur
einen gepflasterten Weg den Hügel hinab,
aber in ihrem Zustand ist das eine Leistung. Endlich unten durchqueren sie den
Stadtpark, an einer Betonsäule zieht Blues eine Spraydose aus den Tiefen ihrer
Jacke und schreibt in blau „Phallus“ an die Säule. Violet flippt völlig aus.
„Bist du bescheuert, schleppst die ganze Nacht eine Spraydose rum, wenn wir
Bullen getroffen hätten…“ Blues nimmt die Kritik ganz gelassen hin „haben wir
aber nicht.“ Violet ist stinksauer und sagt nichts mehr. So eine Situation kann
Roth gar nicht aushalten: Dissonanz. Sie ist harmoniesüchtig und versucht mit
irgendwelchen Anekdoten die Stimmung zu retten. Die beiden anderen lassen sie
plaudern wie ein Radio. An der letzten Kreuzung trennen sich ihre Wege, Violet
wohnt bei Bionda, Blues und Roth im besetzten Haus um die Ecke.
An Schlaf ist jetzt nicht zu denken, Violet ist immer noch
aufgebracht wegen der Spraydose. Sie tigert durch die Wohnung, auf der Suche
nach Beschäftigung. Am frühen Sonntagmorgen ist es nicht so einfach sich zu
amüsieren. In der Not fängt sie an abzuwaschen. Aufräumen und putzen kann sie
in dieser Wohnung noch stundenlang. In ihrem Magen kocht der Brass weiter vor
sich hin. Sie kennt das von sich, sie kommt immer nicht runter. Sie regt sich
immer noch über Blues Leichtsinnigkeit auf, kommt aber auch vom Hundertsten ins
Tausendste, alles, was sie in letzter Zeit hätte ärgern können, fällt ihr jetzt
ein. Die Küche ist soweit ok, sie geht zu Klo und wütet mit der Bürste im
Becken. Hausarbeit ist wunderbar körperlich, ihrem Bauch geht es langsam
besser. Jetzt Kaffee und Kippe. Sie kocht sich Kaffee und sucht ihre Jacke nach
Tabak ab. Da ist nichts, dunkel erinnert sie sich, wie sie ihre leere Tabaktüte
auf der Party in eine Ecke geschmissen hat. Diese Party…ein Glück ist das schon
recht weit weg…sie will sich jetzt keinesfalls schon wieder aufregen. Auf der
Suche nach Rauchwaren durchkämmt sie Küche und Wohnzimmer. Ganz vorsichtig
öffnet sie die Tür zu Biondas Zimmer, puh, sie ist nicht da, aber da steht ein
voller Aschenbecher. Da sind genug kalte
Kippen, daraus kann sie sich noch fünf Zigaretten drehen, also nur noch
Blättchen, davon hängt jetzt ihr Leben ab, aber sie wird jawohl irgendwo in
dieser Wohnung ein Blättchen finden. Sie hat die Jacken am Haken durchsucht, in
einer Jacke, deren Besitzer unklar ist, findet sie ein altes Paket. Bedächtig
formt sie ihre Restezigarette, die sie gleich zu ihrem, inzwischen, kalten
Kaffee rauchen will. So. Jetzt geht es ihr gut. Sie hat sich beim Putzen
ausgepowert, alles sieht super sauber aus, das gefällt ihr. Noch eine Rauchen
und dann ist der Samstagabend endlich rum.
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