Otto ist schon seit längerer Zeit ausgezogen, er lebt in
Hannover. Er ist nicht verloren, er kommt häufig vorbei, aber im Alltag ist sie
allein mit den beiden Alten, Scheintoten, Untoten, es ist so trostlos. Hier,
beim Mittagessen, streiten die Zwei. Es geht um Erikas Führerschein, Erika
spricht ja schon lange nicht mit ihrem Vater, sie überlässt es ihrer Mutter für
ihre Interessen zu streiten. Erika spürt ihre Feigheit, will das aber nicht
wahrhaben, also hört sie lieber interessiert zu, wie ihre Mutter ihre
Interessen vertritt. Der Streit verläuft in den üblichen Bahnen, die Zwei
offenbaren ihre Lieblosigkeit zueinander, es wird um Prinzipien gestritten, das
Geld ist ja da.
Plötzlich ist Erika berührt, es gibt keinen besonderen
Anlass, Erika war schon hundertmal dabei, wenn ihre Eltern streiten, aber jetzt
ist sie schockiert. „Das ist ja furchtbar, wie ihr Zwei miteinander umgeht!“
Sagt sie mit brüchiger Stimme und vom Entsetzen verzerrtem Gesicht, während sie
vom Mittagstisch vorzeitig aufsteht um in ihr Zimmer zu rennen. Heulend schlägt
sie die Tür zu, macht laut Musik an, setzt sich auf ihr Bett und überlässt sich
ihren Gefühlen. Sie ist noch ganz mit sich, vordergründig mit ihren Eltern,
beschäftigt, haltlos weinend, als ihre Mutter hereinkommt. Die Mutter schreit
gegen die Musik an „Kind, was ist denn, was ist denn los?“ „Ich weiß auch
nicht, das macht mich gerade so fertig, wie ihr miteinander redet…“ schreit
Erika und macht endlich die Musik leiser. Sie weint weiter laut schluchzend,
die Situation wird absurd, die Mutter fängt auch an zu weinen, beide weinen aus
Mitgefühl mit der Anderen. „Was bin ich für eine schlechte Mutter, dass ich
meine Tochter nicht trösten kann.“ Erika meint dass es hier nicht mehr
weitergeht, sie sagt: „lass mal, Mutter, ich fahr zu meinem Freund.“ So beendet
Erika die Situation und verlässt das Haus. Ihre Mutter wird sich zum
Mittagsschlaf hinlegen, wie es ihre Gewohnheit ist.
Bei ihrem Freund kann Erika die Sache mit ihren Eltern
schnell beiseite schieben. Nicht, weil sie ihrem Freund so zugetan ist,
sondern, weil es dort so lebendig ist. Die Familie sitzt noch beim Mittagessen
als sie dort ankommt. Ihr Freund hat jüngere Geschwister, Erika setzt sich
dazu, alle reden freundlich miteinander. Später räumen alle zusammen die Küche
auf, Erika will sich einreihen, bekommt aber keine Aufgabe, sie steht nutzlos
im Türrahmen und schaut dem Treiben zu. Ihr Freund ist ganz nett, naja, solala,
sie nennt das Beziehung, eigentlich ist das nur eine Bekanntschaft. Das ist
schon bezeichnend, wie sie da im Türrahmen steht: die Familie lässt sie nicht
richtig rein, auch ihre Beziehung geht nicht richtig ab, sie kommen nicht in
die Tiefe, in Erikas Kopf schlummert die Frage, wie sehr das wohl an ihr liegt.
Das Telefon klingelt, erstaunlicherweise ist es für Erika. Verwundert nimmt
Erika den Hörer. Es ist Corinna: „Erika! Deine Mutter hat Tabletten geschluckt
und ist auf dem Weg ins Krankenhaus, komm mal nach Hause!“
Ihr Freund hat ein Mofa. Erika hängt mit einer Hand an
seiner Schulter die andere Hand am Lenker. So kommt sie mit ihrem Fahrrad
schnell und ohne Anstrengung nach Hause. Den ganzen Weg über redet sie laut mit
sich selbst: „das Schwein…“, „der Arsch“, „so ein Arschloch“
SIE GIBT IHREM VATER ALLE SCHULD
Zuhause wartet Corinna und erzählt ihr alles was sie weiß.
Der Vater wollte um halb drei Kaffee trinken, aber die Mutter war nicht auf. Er
ging zu ihrem Zimmer, aber es war abgeschlossen. Also klopfte er und sagte ihr
durch die Tür, dass es Kaffeezeit ist und sie jetzt aufstehen muss. Da sie
nicht reagierte, klopfte und rief er immer lauter. Erikas Vater bleibt dran,
bei was immer er tut. Er klopfte und rief; und rief und schimpfte und klopfte;
und er hätte wohl auf seine alten Tage auch noch die Tür eingetreten, aber das
war nicht nötig. Die Mutter stand irgendwann auf und öffnete, legte sich aber
gleich wieder hin. Der Vater sah die vielen leeren Tabletten Schachteln und
rief gleich den Krankenwagen. Corinna hat aus ihrem Fenster den Krankenwagen
gesehen und ist gleich rübergerannt um zu schauen, was los ist. Jetzt geht sie
wieder nach Hause, der Vater ist mit ins Krankenhaus gefahren, Erika ist
allein.
Die Brüder kümmern sich, Erika ist mal wieder die Kleine,
sie fährt auch einmal mit ins Krankenhaus, aber sie muss abseits warten,
während ihr ältester Bruder mit der Mutter spricht. Die Mutter verschwindet
direkt aus dem Krankenhaus nach Köln, zu ihrer Schwester. Dort bleibt sie.
Manches wird Erika erzählt, den Rest puzzelt sie sich alleine zusammen. Sie
kommt der Wahrheit wahrscheinlich recht nah: Die Mutter hat sich zum
Mittagsschlaf hingelegt, wie es ihre Gewohnheit ist. Aber sie war in einem
ungewohnten Zustand. Sie haderte mit sich und ihrem Leben. „Was bin ich für
eine schlechte Mutter, dass ich meine Tochter nicht trösten kann…“ Damit ist
sie allein in ihr Zimmer gegangen und da hat sie weitergemacht, hart mit sich
im Gericht, untröstlich. Das Leben vertan, nichts richtig gemacht, eine
Aneinanderreihung falscher Entscheidungen…und so weiter. Irgendwann hat sie
ihre Schlaftabletten zusammen gesucht und alles geschluckt was da war….und dann
kam der Vater und hat geklopft…
Das ist jetzt ein neues Leben: Vater und Tochter allein in
einem großen Haus. Nach kurzer Zeit wird Erika krank, Gehirnhautentzündung, sie
kommt ins Krankenhaus, dort bleibt sie erst mal für drei Wochen. So löst man
keine Probleme, aber es ist ein Aufschub. Sie kommt zurück in die gleiche
Situation, sie ist allein mit ihrem Vater
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen