Sonntag, 11. Oktober 2015

Der rote Mond Der Tag X


Otto ist schon seit längerer Zeit ausgezogen, er lebt in Hannover. Er ist nicht verloren, er kommt häufig vorbei, aber im Alltag ist sie allein mit den beiden Alten, Scheintoten, Untoten, es ist so trostlos. Hier, beim Mittagessen, streiten die Zwei. Es geht um Erikas Führerschein, Erika spricht ja schon lange nicht mit ihrem Vater, sie überlässt es ihrer Mutter für ihre Interessen zu streiten. Erika spürt ihre Feigheit, will das aber nicht wahrhaben, also hört sie lieber interessiert zu, wie ihre Mutter ihre Interessen vertritt. Der Streit verläuft in den üblichen Bahnen, die Zwei offenbaren ihre Lieblosigkeit zueinander, es wird um Prinzipien gestritten, das Geld ist ja da.
Plötzlich ist Erika berührt, es gibt keinen besonderen Anlass, Erika war schon hundertmal dabei, wenn ihre Eltern streiten, aber jetzt ist sie schockiert. „Das ist ja furchtbar, wie ihr Zwei miteinander umgeht!“ Sagt sie mit brüchiger Stimme und vom Entsetzen verzerrtem Gesicht, während sie vom Mittagstisch vorzeitig aufsteht um in ihr Zimmer zu rennen. Heulend schlägt sie die Tür zu, macht laut Musik an, setzt sich auf ihr Bett und überlässt sich ihren Gefühlen. Sie ist noch ganz mit sich, vordergründig mit ihren Eltern, beschäftigt, haltlos weinend, als ihre Mutter hereinkommt. Die Mutter schreit gegen die Musik an „Kind, was ist denn, was ist denn los?“ „Ich weiß auch nicht, das macht mich gerade so fertig, wie ihr miteinander redet…“ schreit Erika und macht endlich die Musik leiser. Sie weint weiter laut schluchzend, die Situation wird absurd, die Mutter fängt auch an zu weinen, beide weinen aus Mitgefühl mit der Anderen. „Was bin ich für eine schlechte Mutter, dass ich meine Tochter nicht trösten kann.“ Erika meint dass es hier nicht mehr weitergeht, sie sagt: „lass mal, Mutter, ich fahr zu meinem Freund.“ So beendet Erika die Situation und verlässt das Haus. Ihre Mutter wird sich zum Mittagsschlaf hinlegen, wie es ihre Gewohnheit ist.
Bei ihrem Freund kann Erika die Sache mit ihren Eltern schnell beiseite schieben. Nicht, weil sie ihrem Freund so zugetan ist, sondern, weil es dort so lebendig ist. Die Familie sitzt noch beim Mittagessen als sie dort ankommt. Ihr Freund hat jüngere Geschwister, Erika setzt sich dazu, alle reden freundlich miteinander. Später räumen alle zusammen die Küche auf, Erika will sich einreihen, bekommt aber keine Aufgabe, sie steht nutzlos im Türrahmen und schaut dem Treiben zu. Ihr Freund ist ganz nett, naja, solala, sie nennt das Beziehung, eigentlich ist das nur eine Bekanntschaft. Das ist schon bezeichnend, wie sie da im Türrahmen steht: die Familie lässt sie nicht richtig rein, auch ihre Beziehung geht nicht richtig ab, sie kommen nicht in die Tiefe, in Erikas Kopf schlummert die Frage, wie sehr das wohl an ihr liegt. Das Telefon klingelt, erstaunlicherweise ist es für Erika. Verwundert nimmt Erika den Hörer. Es ist Corinna: „Erika! Deine Mutter hat Tabletten geschluckt und ist auf dem Weg ins Krankenhaus, komm mal nach Hause!“
Ihr Freund hat ein Mofa. Erika hängt mit einer Hand an seiner Schulter die andere Hand am Lenker. So kommt sie mit ihrem Fahrrad schnell und ohne Anstrengung nach Hause. Den ganzen Weg über redet sie laut mit sich selbst: „das Schwein…“, „der Arsch“, „so ein Arschloch“

SIE GIBT IHREM VATER ALLE SCHULD

Zuhause wartet Corinna und erzählt ihr alles was sie weiß. Der Vater wollte um halb drei Kaffee trinken, aber die Mutter war nicht auf. Er ging zu ihrem Zimmer, aber es war abgeschlossen. Also klopfte er und sagte ihr durch die Tür, dass es Kaffeezeit ist und sie jetzt aufstehen muss. Da sie nicht reagierte, klopfte und rief er immer lauter. Erikas Vater bleibt dran, bei was immer er tut. Er klopfte und rief; und rief und schimpfte und klopfte; und er hätte wohl auf seine alten Tage auch noch die Tür eingetreten, aber das war nicht nötig. Die Mutter stand irgendwann auf und öffnete, legte sich aber gleich wieder hin. Der Vater sah die vielen leeren Tabletten Schachteln und rief gleich den Krankenwagen. Corinna hat aus ihrem Fenster den Krankenwagen gesehen und ist gleich rübergerannt um zu schauen, was los ist. Jetzt geht sie wieder nach Hause, der Vater ist mit ins Krankenhaus gefahren, Erika ist allein.
Die Brüder kümmern sich, Erika ist mal wieder die Kleine, sie fährt auch einmal mit ins Krankenhaus, aber sie muss abseits warten, während ihr ältester Bruder mit der Mutter spricht. Die Mutter verschwindet direkt aus dem Krankenhaus nach Köln, zu ihrer Schwester. Dort bleibt sie. Manches wird Erika erzählt, den Rest puzzelt sie sich alleine zusammen. Sie kommt der Wahrheit wahrscheinlich recht nah: Die Mutter hat sich zum Mittagsschlaf hingelegt, wie es ihre Gewohnheit ist. Aber sie war in einem ungewohnten Zustand. Sie haderte mit sich und ihrem Leben. „Was bin ich für eine schlechte Mutter, dass ich meine Tochter nicht trösten kann…“ Damit ist sie allein in ihr Zimmer gegangen und da hat sie weitergemacht, hart mit sich im Gericht, untröstlich. Das Leben vertan, nichts richtig gemacht, eine Aneinanderreihung falscher Entscheidungen…und so weiter. Irgendwann hat sie ihre Schlaftabletten zusammen gesucht und alles geschluckt was da war….und dann kam der Vater und hat geklopft…


Das ist jetzt ein neues Leben: Vater und Tochter allein in einem großen Haus. Nach kurzer Zeit wird Erika krank, Gehirnhautentzündung, sie kommt ins Krankenhaus, dort bleibt sie erst mal für drei Wochen. So löst man keine Probleme, aber es ist ein Aufschub. Sie kommt zurück in die gleiche Situation, sie ist allein mit ihrem Vater

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