Samstag, 19. September 2015

Der rote Mond Die Kröte

Fatmas Worte schwingen noch lange in Erika nach. Der Schwerpunkt verschiebt sich langsam. Immer öfter denkt Erika daran, was Fatma über ihr Verhältnis zu Otto gesagt hat. „Otto ist in seiner Anmache beliebig…“ Wie genau Fatma hinschaut! Wenn Erika das Gefühl hat, dass ein Junge auf sie abfährt, dann schnappt sie zu wie eine Kröte. Wenn der nur halbwegs akzeptabel wirkt, dann ist sie dabei. Wie die Kröte trägt sie ihn auch auf dem Rücken, wenn das nötig ist. Aber anders als die Kröte lässt sie sich nicht wirklich ein. Alles Mögliche hindert sie. Äußerlich ist sie Beziehung, allerdings auch meistens nur für zwei bis drei Wochen. Dann ist der Zauber schon wieder vorbei. Der Zauber ist keineswegs zauberhaft. Wie geht Zweisamkeit? Welchen Anforderungen muss Erika da eigentlich gerecht werden? Sie müsste sich öffnen und einlassen. Wie üblich kommt sie gar nicht dazu, darüber nachzudenken. Sie agiert kräftig herum, folgt ihren Eingebungen, alles schmeckt irgendwie schal. Das Bild: „ Erika hat einen Freund“, bleibt schemenhaft. Da war Einer, den hatte sie im Schwimmbad aufgegabelt. Nicht schlecht, der wohnte ein Dorf weiter, hatte sonst mit ihrem Leben gar nichts zu tun. Da konnte sie sich ganz unauffällig probieren. Er wollte ständig ins Bett, Petting. Sie war da nicht lustvoll, sondern nur mit ihrer Scham beschäftigt. Er ja auch, aber sie schämte sich, oder nein, sie konnte die Blöße nicht aushalten. Anstatt darüber zu reden, ging sie einfach nicht mehr hin.

Ein Anderer war aus ihrer Klasse, ein blasser, langhaariger Hungerturm. Sie verbrachten einige Wochen miteinander, da kam nicht viel von ihm. Aber der ließ sich nicht so einfach abschütteln, Erika musste richtig Schluss machen. Das hatte sie noch nie und der Vorsatz allein trieb ihr schon den Schweiß aus den Poren. Die Sache zog sich hin, nur weil Erika es nicht auf die Reihe bekam, ihm zu sagen, dass es aus ist. Wenn sie zu ihm hinging, es ihm zu sagen, ging schon ihr Hals zu. Irgendwann presste sie dann die Worte aus dem zugeschnürten Hals. Es war in der Kneipe, er saß ganz entspannt neben dem Flipper auf dem Fensterbrett.  Die Luft war schnell weg: „Ich mag nicht mehr…ich mach Schluss!“ Die letzten drei Worte versiegten atemlos. Er schnellte vor, machte scheinbar ein bestürztes Gesicht: „was?“ Die Schuld, oder was war es? Erika konnte das nicht aushalten, sie rannte davon. Es dauerte nochmal einige Tage, bis sich herausstellte, dass er ihre Worte einfach akustisch nicht verstanden hatte. Sie musste also noch mal Schluss machen. Beim zweiten Mal ging es dann schon leichter und hat auch geklappt. Langsam dämmerte ihr, dass sie besser nicht alles mitnimmt, schon allein, weil es manchmal schwierig ist, da wieder rauszukommen. Aber natürlich steht sie auf dem Schlauch. Alle ihre Nöte: Anerkennung, geliebt werden, Zweisamkeit und so weiter, könnte sie mit einer Beziehung lindern. Aber eine Beziehung ist nun mal etwas Öffentliches. Wenn sie versucht mit dem „Fremdblick“ auf ihre Jungs zu schauen, dann kann keiner standhalten. Ihr Kerl muss eigentlich so sein, wie ihre Brüder, er muss was hermachen, er muss groß sein, dominant, ein Alpha-Wolf, ein Leittier. So gesehen sind das kleine Fuzzies, peinlich.

 Sie war bei ihrer Tante zu Besuch, in der Nähe von Nürnberg. Der Freund von ihrem Cousin hat sie angebaggert, da hat sie sich eingelassen. Das ist okay, der ist weit weg, das hat einige Vorteile. Es gibt keinen Fremdblick, sie muss sich nicht ständig Verhalten, sie kann sich sehnen. Er schreibt ihr viele Briefe, das ist schön, da fühlt sie sich geliebt, eigentlich. Die Anrede im Brief ist immer „Hallo Engelchen“. Aha. Das hört sich nett an, sie selbst fühlt sich schwerfällig, linkisch und burschikos. Das ist weit weg von „Engelchen“. Aber ein bisschen fühlt sie sich auch geschmeichelt. Und er sieht sie, manchmal mehr als ihr lieb ist. Nürnberg ist ja nun mal näher als Südtirol. Sie schafft es schon öfter mal dahin, auch übers Wochenende. Er holt sie am Bahnhof ab, ja, er ist sehr zugewandt. Schon nach wenigen Minuten, im Auto, sagt er: „was bist du denn schon wieder so kratzbürstig?“ Erstmal ist sie sprachlos, sie wird so sehr gesehen, dass es an Blöße grenzt. Sie kämpft ein bisschen um Kontrolle, dann ist sie noch kratzbürstiger, er lässt das liebevoll über sich ergehen. Noch bevor sie bei ihm zu Hause, oder bei ihrer Tante ankommen, ist sie glücklich. Sie fühlt sich gesehen und akzeptiert. Er kann sie lassen, sie braucht das Zurückweisende, Kratzbürstige, bevor sie sich öffnen kann. Das hat sie aber erst durch ihn erfahren. Er ist heilsam für sie und zu ihren Gefühlen für ihn mischt sich Dankbarkeit.

Da kann sie sich aufhalten, sie übt „Beziehung“ in homöopathischen Dosen. Sie empfindet das als nicht öffentlich und er gibt ihr viel Sicherheit. Unsicher ist immer nur der erste Moment, wenn sie bei ihm im Auto sitzt und konfrontiert ist. Nachher gewöhnt sie sich, sie verbringen einige Tage zusammen und dann fährt sie wieder nach Hause. Daheim kann sie sich sehnen, in ihren Träumereien kann er nichts falsch machen; und diesmal hat sie wirklich einen Freund. Daneben hat sie Zuhause ja immer noch alle Räume offen. Treue ist für sie wirklich ein Fremdwort, das ist ein leerer, bedeutungsloser Begriff. Sie hält die Augen offen. Sie glaubt, dass ihr Herz so groß ist, dass sie mehrere Jungs gleichzeitig lieben könnte. Mit Thomas geht es auch weiter, aber Erika verhält sich freundschaftlich. Das ist sicheres Terrain. Da kennt sie sich aus. Sie kann eine sehr gute Freundin sein.

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