Freitag, 6. März 2015

IG Farben: Einsilbige Jungs

Da sind neue Jungs aufgetaucht. Jung, nett und energiegeladen wirken die. Das ist auf jeden Fall eine Bereicherung. Meistens sind sie zu dritt. Der Eine ist so normal, dass man sich weder sein Gesicht noch seinen Namen merken kann. Der Zweite heißt Bernd. Dieses Gesicht ist alles andere als normal. Er sieht aus wie ein jugendlicher Neandertaler. Aber unheimlich nett. Ach ja, ein Hippie-Neandertaler. Lustiger Typ! Sehr viel Energie, er will das VZ völlig umkrempeln, hat 1000 Ideen, was man alles machen könnte. Er hat ein Auge auf Roth geworfen, hat sich von ihr seine Haare blau färben lassen. Das sieht vielleicht urig aus: lange, blaue Hippie-Haare. Jetzt haben wir also die grüne Roth und den blauen Bernd. Der Dritte im Bunde ist auch der Hammer. Der sieht aus wie der hinterste Waldschrat. Aber gar nicht finster. Nach einer hohen Stirn beginnen wilde Haare, die in alle Richtungen abstehen. Vor den Augen steckt eine dicke runde Brille und vor dem Rest des Gesichts steht ein riesiger Bart. Bei all dem hat er eine ganz freundliche Ausstrahlung. Wenn er sich bewegt merkt man vom Waldschrat auch nichts mehr, er bewegt sich fließend und flott. Wenn er tanzt sind alle beeindruckt, dann sind seine Bewegungen so elegant und leicht, jetzt kein Akrobat, aber doch als hätte er weniger Schwerkraft zu überwinden. Das ist der Kurt und er hat sich in Blues Fanclub eingereiht. Violet findet es ein bisschen verwirrend, dass keiner auf sie abfährt, aber naja, die sind eh beide nicht ihr Typ. Und, natürlich, die Jungs machen auch eine Theke, die andere Woche von den Schwulen und als pendant zur Mädelstheke nennen sie sich Bubitheke. Jetzt ist das VZ-Cafe schon an vielen Tagen offen. Manchmal, wenn sie Lust haben, machen Buben und Mädchen zusammen noch samstags auf. Was dabei raus kommt, ist dass sie sich noch öfter für Umme zusaufen, dass das VZ viel Geld hat und dass die großen Herren der Szene ein sorgenvolles Gesicht machen. Das VZ wurde vor Jahren ja auch mal besetzt. Das Haus gehört zum Institut für osteuropäische Geschichte, also der Uni. Es ist riesengroß und war damals ungenutzt. Von einer Demo aus zog eine große Menschenmenge zur Besetzung. Das hat alles gut geklappt damals, die Idee eines Zentrums: Veranstaltungen, Kommunikation, Trainingsräume, eben Platz für alles, was so eine Szene braucht. Dass eine Szene nur billigen Alk braucht war nicht der Gedanke der Macher. Aber wenn Geld gebraucht wird, zum Beispiel für Anwälte, oder so, dann ist das VZ-Plenum doch der erste Ansprechpartner.
Nun sind also diese Energie-Jungs auch beim Plenum und wollen ständig was machen. Naja, zu tun gibt es wirklich genug. Die Urinale auf dem Klo sind verstopft. Außerdem ist der Weg zum Klo für die Leute aus dem cräsh weit. Es gibt also welche, die gehen zum Pissen in den Keller (immer noch besser als zum Lachen in den Keller zu gehen). Violet schaut sich das nicht an, aber man hört, dass da unten die Pisse knietief steht. Andere gehen zum Pissen vor die Tür. Wenn man rauskommt dann ist links eine dunkle Ecke. Da pissen viele einfach hin. Bei Regenwetter stinkt der ganze Hof danach. Kurt, Bernd und der Andere meinen da müsste man was machen. Die Mädels sind ja nun nicht die großen Handwerker, aber sie sind bei diesen nachmittags Terminen natürlich dabei. In einer Hand ein Besen, in der anderen ein Bier, schaut Violet mit genügend Abstand zu, wie sich einige Leute am Urinal zu schaffen machen. Der Wolfgang, einer von den Freitags- Rockern hält das randvolle Becken, während der Thomas von den Schwulen an der Wandhalterung schraubt. Plötzlich löst sich das Urinal aus der Wand. Literweise ergießt sich gelbbraune Flüssigkeit über Wolfgang. Er springt zurück und lässt das Becken fallen, was die Situation deutlich verschlimmert. Zuerst floss die Suppe nur über seine Beine, aus dem Becken spritzt es fast bis zu seinem Gesicht. Fluchend lässt er alles stehen und liegen. Violet muss sich unglaublich anstrengen nicht laut loszuprusten. Sie schäumt über vor Schadenfreude. Der Wolfgang, so ein Hotelbesitzerinnensohn aus Konstanz. Psychologie Student. Ständig schlecht gelaunter Klugschwätzer. Wie geil, dass der Zwuckel das abgekriegt hat. Um sich zu beruhigen geht Violet nach draußen, zu der anderen Baustelle, die sie heute angefangen haben. Das stehen schon ihre Freundinnen, natürlich auch mit Bier. Sie schauen zu, wie Kurt und Bernd eine Pissrinne bauen. Nun stehen die vier Freundinnen also beisammen und übertrumpfen sich gegenseitig mit klugen Ratschlägen. Kurt und Bernd nehmen das gelassen, wie gesagt, wirklich nette Jungs. Das ist so simpel, das hätten sogar die Mädels geschafft. Aber es braucht dann doch erst solche Macher-Macker. Sie haben aus Zement einen abschüssigen Sockel gebastelt und darauf montieren sie ein längliches Blech. Einfach! Schwierig ist nur das Loch in der Hauswand und der Anschluss an das Abwasserrohr bei den Toiletten, das schlauerweise genau da innen verläuft. Die Mädels bleiben da, bis die Buben fertig sind. Es ist klar, die Anwesenheit von Blues und Roth beflügelt sie zu Höchstleistungen. Das ist die Art von Einsatz, den die Mädels leisten, das VZ dankt es ihnen mit Bier. Deal!

Nach getaner Arbeit hat der Abend noch gar nicht angefangen aber die Mädels sind jetzt richtig durstig. Sie holen von oben eine Kiste Bier, die die Jungs nach Hause tragen. Der Bernd wohnt ja jetzt auch in dem besetzten Haus, auf dem gleichen Stockwerk wie Roth und Blues. Naja, kann man das wohnen nennen? Es gab da bisher eine ungenutzte „Kammer“, neben der Küche. Als Raum erkenntlich hauptsächlich wegen der Tür. Sonst nur Dachstuhl, kein richtiger Boden, kein Fenster, die blanken Dachziegeln. Bernd fragte, ob er da einziehen darf. Was soll man da sagen? Klar! Innerhalb kurzer Zeit hat Bernd einen richtig netten Raum daraus gemacht, alle waren schwer beeindruckt, was so möglich ist. Dort lassen sie sich nieder mit ihrer Kiste und verwandeln den Raum in eine Frisierstube. Das ist der Plan: Blues frisiert Bernd und Roth beschneidet Kurt. Spannung. Am Boden liegt ein großer Haufen blauer Haare und aus dem Hippie Neandertaler ist ein…ja was eigentlich… geworden? Roth hatte von Blues mehr erwartet. Bernds Haare sind jetzt fast alle einfach kurz. Nur vorne rechts fällt eine große Strähne ins Gesicht. Das sieht ziemlich bekloppt aus, aber Bernd trägt es mit stoischem Humor. Er sieht bescheuert aus, gleicht das aber mit einem geschmeidigen Lächeln wieder aus. Roths Job ist dankbarer. Sie schneidet dem Waldschrat einfach erstmal den Kopf kurz. Dann rasiert sie den Bart. Der Waldschrat verschwindet für immer, heraus kommt Kurt, das sieht ganz schön gut aus, aber Kurts Lächeln ist kein bisschen geschmeidig. Er hat seinen riesigen Bart jahrelang getragen, seine Mimik ist in diesem versteckten Gesicht völlig verloren gegangen. Seine untere Gesichtshälfte wirkt bloß, nackt und jungfräulich. Nach dem Haare schneiden sitzen sie in Bernds Kammer, leeren die Kiste und unterhalten sich. Aber Blues und Roth konzentrieren sich nicht richtig auf die Unterhaltung, sie sind beide eigentlich mit ihrem Werk beschäftigt. Und alle schauen auf Kurts Mund, wie der sich nackt der Welt präsentiert.

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