Da sind neue Jungs aufgetaucht. Jung, nett und
energiegeladen wirken die. Das ist auf jeden Fall eine Bereicherung. Meistens
sind sie zu dritt. Der Eine ist so normal, dass man sich weder sein Gesicht
noch seinen Namen merken kann. Der Zweite heißt Bernd. Dieses Gesicht ist alles
andere als normal. Er sieht aus wie ein jugendlicher Neandertaler. Aber
unheimlich nett. Ach ja, ein Hippie-Neandertaler. Lustiger Typ! Sehr viel
Energie, er will das VZ völlig umkrempeln, hat 1000 Ideen, was man alles machen
könnte. Er hat ein Auge auf Roth geworfen, hat sich von ihr seine Haare blau
färben lassen. Das sieht vielleicht urig aus: lange, blaue Hippie-Haare. Jetzt
haben wir also die grüne Roth und den blauen Bernd. Der Dritte im Bunde ist
auch der Hammer. Der sieht aus wie der hinterste Waldschrat. Aber gar nicht
finster. Nach einer hohen Stirn beginnen wilde Haare, die in alle Richtungen
abstehen. Vor den Augen steckt eine dicke runde Brille und vor dem Rest des
Gesichts steht ein riesiger Bart. Bei all dem hat er eine ganz freundliche
Ausstrahlung. Wenn er sich bewegt merkt man vom Waldschrat auch nichts mehr, er
bewegt sich fließend und flott. Wenn er tanzt sind alle beeindruckt, dann sind
seine Bewegungen so elegant und leicht, jetzt kein Akrobat, aber doch als hätte
er weniger Schwerkraft zu überwinden. Das ist der Kurt und er hat sich in Blues
Fanclub eingereiht. Violet findet es ein bisschen verwirrend, dass keiner auf
sie abfährt, aber naja, die sind eh beide nicht ihr Typ. Und, natürlich, die
Jungs machen auch eine Theke, die andere Woche von den Schwulen und als pendant
zur Mädelstheke nennen sie sich Bubitheke. Jetzt ist das VZ-Cafe schon an
vielen Tagen offen. Manchmal, wenn sie Lust haben, machen Buben und Mädchen
zusammen noch samstags auf. Was dabei raus kommt, ist dass sie sich noch öfter
für Umme zusaufen, dass das VZ viel Geld hat und dass die großen Herren der
Szene ein sorgenvolles Gesicht machen. Das VZ wurde vor Jahren ja auch mal
besetzt. Das Haus gehört zum Institut für osteuropäische Geschichte, also der
Uni. Es ist riesengroß und war damals ungenutzt. Von einer Demo aus zog eine
große Menschenmenge zur Besetzung. Das hat alles gut geklappt damals, die Idee
eines Zentrums: Veranstaltungen, Kommunikation, Trainingsräume, eben Platz für
alles, was so eine Szene braucht. Dass eine Szene nur billigen Alk braucht war
nicht der Gedanke der Macher. Aber wenn Geld gebraucht wird, zum Beispiel für
Anwälte, oder so, dann ist das VZ-Plenum doch der erste Ansprechpartner.
Nun sind also diese Energie-Jungs auch beim Plenum und
wollen ständig was machen. Naja, zu tun gibt es wirklich genug. Die Urinale auf
dem Klo sind verstopft. Außerdem ist der Weg zum Klo für die Leute aus dem
cräsh weit. Es gibt also welche, die gehen zum Pissen in den Keller (immer noch
besser als zum Lachen in den Keller zu gehen). Violet schaut sich das nicht an,
aber man hört, dass da unten die Pisse knietief steht. Andere gehen zum Pissen
vor die Tür. Wenn man rauskommt dann ist links eine dunkle Ecke. Da pissen
viele einfach hin. Bei Regenwetter stinkt der ganze Hof danach. Kurt, Bernd und
der Andere meinen da müsste man was machen. Die Mädels sind ja nun nicht die
großen Handwerker, aber sie sind bei diesen nachmittags Terminen natürlich
dabei. In einer Hand ein Besen, in der anderen ein Bier, schaut Violet mit
genügend Abstand zu, wie sich einige Leute am Urinal zu schaffen machen. Der
Wolfgang, einer von den Freitags- Rockern hält das randvolle Becken, während
der Thomas von den Schwulen an der Wandhalterung schraubt. Plötzlich löst sich
das Urinal aus der Wand. Literweise ergießt sich gelbbraune Flüssigkeit über
Wolfgang. Er springt zurück und lässt das Becken fallen, was die Situation
deutlich verschlimmert. Zuerst floss die Suppe nur über seine Beine, aus dem
Becken spritzt es fast bis zu seinem Gesicht. Fluchend lässt er alles stehen
und liegen. Violet muss sich unglaublich anstrengen nicht laut loszuprusten.
Sie schäumt über vor Schadenfreude. Der Wolfgang, so ein Hotelbesitzerinnensohn
aus Konstanz. Psychologie Student. Ständig schlecht gelaunter Klugschwätzer.
Wie geil, dass der Zwuckel das abgekriegt hat. Um sich zu beruhigen geht Violet
nach draußen, zu der anderen Baustelle, die sie heute angefangen haben. Das
stehen schon ihre Freundinnen, natürlich auch mit Bier. Sie schauen zu, wie
Kurt und Bernd eine Pissrinne bauen. Nun stehen die vier Freundinnen also
beisammen und übertrumpfen sich gegenseitig mit klugen Ratschlägen. Kurt und
Bernd nehmen das gelassen, wie gesagt, wirklich nette Jungs. Das ist so simpel,
das hätten sogar die Mädels geschafft. Aber es braucht dann doch erst solche
Macher-Macker. Sie haben aus Zement einen abschüssigen Sockel gebastelt und
darauf montieren sie ein längliches Blech. Einfach! Schwierig ist nur das Loch
in der Hauswand und der Anschluss an das Abwasserrohr bei den Toiletten, das
schlauerweise genau da innen verläuft. Die Mädels bleiben da, bis die Buben
fertig sind. Es ist klar, die Anwesenheit von Blues und Roth beflügelt sie zu
Höchstleistungen. Das ist die Art von Einsatz, den die Mädels leisten, das VZ
dankt es ihnen mit Bier. Deal!
Nach getaner Arbeit hat der Abend noch gar nicht angefangen
aber die Mädels sind jetzt richtig durstig. Sie holen von oben eine Kiste Bier,
die die Jungs nach Hause tragen. Der Bernd wohnt ja jetzt auch in dem besetzten
Haus, auf dem gleichen Stockwerk wie Roth und Blues. Naja, kann man das wohnen
nennen? Es gab da bisher eine ungenutzte „Kammer“, neben der Küche. Als Raum
erkenntlich hauptsächlich wegen der Tür. Sonst nur Dachstuhl, kein richtiger
Boden, kein Fenster, die blanken Dachziegeln. Bernd fragte, ob er da einziehen
darf. Was soll man da sagen? Klar! Innerhalb kurzer Zeit hat Bernd einen
richtig netten Raum daraus gemacht, alle waren schwer beeindruckt, was so
möglich ist. Dort lassen sie sich nieder mit ihrer Kiste und verwandeln den
Raum in eine Frisierstube. Das ist der Plan: Blues frisiert Bernd und Roth beschneidet
Kurt. Spannung. Am Boden liegt ein großer Haufen blauer Haare und aus dem
Hippie Neandertaler ist ein…ja was eigentlich… geworden? Roth hatte von Blues
mehr erwartet. Bernds Haare sind jetzt fast alle einfach kurz. Nur vorne rechts
fällt eine große Strähne ins Gesicht. Das sieht ziemlich bekloppt aus, aber
Bernd trägt es mit stoischem Humor. Er sieht bescheuert aus, gleicht das aber
mit einem geschmeidigen Lächeln wieder aus. Roths Job ist dankbarer. Sie
schneidet dem Waldschrat einfach erstmal den Kopf kurz. Dann rasiert sie den
Bart. Der Waldschrat verschwindet für immer, heraus kommt Kurt, das sieht ganz
schön gut aus, aber Kurts Lächeln ist kein bisschen geschmeidig. Er hat seinen
riesigen Bart jahrelang getragen, seine Mimik ist in diesem versteckten Gesicht
völlig verloren gegangen. Seine untere Gesichtshälfte wirkt bloß, nackt und jungfräulich.
Nach dem Haare schneiden sitzen sie in Bernds Kammer, leeren die Kiste und
unterhalten sich. Aber Blues und Roth konzentrieren sich nicht richtig auf die
Unterhaltung, sie sind beide eigentlich mit ihrem Werk beschäftigt. Und alle
schauen auf Kurts Mund, wie der sich nackt der Welt präsentiert.
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