Ach du Gott ach ne, was ist das nur für eine komische Welt
in der Blues lebt. Gestern im VZ, das war wieder so erschreckend. Also, es ist
ja so: man kommt rein, dann geht gegenüber die Treppe runter in den Keller, links
geht es in das cräsh, halb links ist das kleine Schickeria, nach rechts geht’s
ins Cafe. Dieser Verteilungsflur, in den man reinkommt ist auch groß. Da ist
auch öfter mal was los, weil so viele Leute auf der Suche nach Spaß hin und her
rennen. Die Punx versuchen ihr cräsh für
sich zu behalten, sie gucken jeden schräg an, von dem sie meinen, dass er da
nicht hingehört. Aber das klappt nicht so, wie sie es gerne hätten. Neben der
Tür, an der Wand steht groß „off limits für Roth“, weil die den Punx beim
Plenum immer die Meinung geigt (oder heißt es flötet?), andererseits, jemand
der sich an ihrem Dosenbier ordentlich
volllaufen lässt, ist immer willkommen, die Punx sind geldgeil. Naja,
jedenfalls wollte Blues gestern vom Cafe ins cräsh laufen, da war im Flur eine
große Menschenmenge, sie kam nicht voran. Beim näheren Hinsehen erwies sie sich
als Zuschauerpulk. In der Mitte prügelten sich zwei Typen. Also prügeln wäre ja
ok gewesen, das waren zwei riesige Kerle mit Glatzen und Bomberjacken (solche
sieht man im VZ nicht oft), beide hatten riesige Ketten in der Hand, vielleicht
50 cm lang, mit denen schlugen sie aufeinander ein. Blues bekam sofort weiche
Knie, als sie das sah. So schräge Typen…wollen die sich hier gegenseitig
totschlagen? Was machen die ganzen Gaffer hier? Wollen die Blut sehen? Will da
jemand mal einschreiten und denen sagen, dass sie sich woanders prügeln sollen,
dass das hier keiner haben will?
Da waren schon letzte Woche welche da, die völlig unnötig
waren. Mitten im Feiern hieß es, alle mal vor die Tür, es gibt einen Angriff.
Angriff? Fragte sich Blues, was ist das schon wieder? Als sie auf den Hof kam,
standen da vielleicht hundert Leute, Hasslacher, hieß es. Denen gegenüber stand
der dicke Georg, der spielt sich gerne mal in den Vordergrund, er wollte mit
ihnen reden. Alle anderen sammelten sich erstmal an der Tür und beobachteten.
Georg stand so weit vorne, man konnte ihn reden hören, aber nicht verstehen,
was er sagt. Plötzlich stand Georg in einem Flammensee. Jemand hatte einen Molli
geworfen. Blues erschrak bis ins Mark, aber das war sehenswert: der dicke
Georg, der sonst oft ein bisschen schwerfällig wirkt, machte aus dem Stand
einen eleganten und weiten Sprung zur Seite und rieb seine brennenden Schuhe im
Staub ab. Was eben noch überaus bedrohlich wirkte, hatte er ganz locker
bewältigt. Die Hasslacher sind wohl genauso erschrocken wie Blues und als Georg
wie ein strenger Vater auf sie einschimpfte, zogen sie bald ab. Was in Blues
übrig blieb, war die Erkenntnis von Verletzlichkeit. Das VZ hat viele Feinde
und die können sich jederzeit zusammenrotten.
Ja, Verletzlichkeit! Da war noch was, die Tage, was sie mehr
und mehr erschreckt. Zuerst haben nur die Schwulen drüber geredet. Sie sehen es
als Attacke auf ihre Lebensweise. Es heißt der amerikanische Geheimdienst habe
es in die Welt gesetzt. Manche sagen es kommt aus Afrika. Typisch, denkt Blues,
alles Schlechte kommt aus Afrika. Es ist eine neue Geschlechtskrankheit. Sie
nennen es Aids. Gerüchte, Gerüchte, aber alles ganz beängstigend. Keiner weiß
was genaues, aber alle reagieren drauf. Sie waren doch gerade sexuell befreit
und jetzt das! Man könnte den Schwulen recht geben, das kommt doch von oben! Man
könnte auch meinen, es kommt von den Kondomherstellern. Hätte Blues zuviel
Geld, sie würde es in Kondomaktien investieren. In allen Wohnungen stehen jetzt
Einweckgläser mit Kondomen. Lustig! Noch vor wenigen Wochen war das ein
Riesenact, einen Kerl davon zu überzeugen ein Kondom zu benutzen. Das war so
als würde ihm der Schwanz abfallen, müsste er ein Kondom überstülpen. Aber
nein! Das ist alles nicht lustig! Angst geht um. Diese Angst entsexualisiert
alle. Naja, viele. Die anderen beeinflusst es aber auch. Bis vor kurzem ging es
nur um Lust. Lust geht gut nonverbal, jetzt geht es immer auch um Angst. Lust
und Angst zusammen, da muss man reden. Sex ist plötzlich problematisch und wenn
einer anders damit umgeht, dann ist es auch komisch. Blues sagt ihren
Freundinnen nicht, dass es für sie kein so großes Problem ist. Für Blues ist
Sexualität etwas sehr privates. Sie würde mit dem Thema niemals so hausieren
gehen, wie es beispielsweise Bionda tut. Blues ist schüchtern und
zurückhaltend, aber das ist eines ihrer vielen Geheimnisse. Blues verbringt
gerne ihre Zeit mit den Freundinnen, aber in vielerlei Hinsicht unterscheidet
sie sich von den anderen. Schon klar, sie sind alle Individuen und Bionda hat
die Deutungshoheit, legt meistens fest, was so angesagt ist. Alle nehmen das
hin und jede macht auf ihre Art ihr Ding. Blues schlägt sich mit ihrem Witz
durch. Damit hält sie alle und alles auf Distanz, braucht sich über ihre
Eigenheiten nicht auseinanderzusetzen, kann sich immer mit einem Scherz
rausretten. Das ist vielleicht auch einer der Gründe für ihre vielen Verehrer.
Also Blues sieht schon auch gut aus, sie hat lange Beine und ordentlich Holz
vor der Hütte, das haben die anderen nicht. Aber sie ist keine Schönheit, wie
Violet und hat auch nicht so ein einnehmende Wesen wie Bionda, aber wohl am
meisten Verehrer. Blues macht es ihrer Umgebung leicht sie zu mögen. Sie ist
immer unbeschwert und zum Scherzen aufgelegt. Ihre auffällige Distanz weckt
vielleicht den Wunsch sich ihr zu nähern. So ein Pulk Verehrer macht das Leben
aber auch nicht leichter. Das sind ja alles nette Jungs, aber keiner dabei, der
sie vom Hocker reißt. Und da unterscheidet sie sich eben von den anderen. Die
Mädels würden nun einen nach dem anderen in ihr Bett zerren, um zu schauen, was
er so hergibt. Sowas mag Blues nicht. Sie weiß, wenn sie sich auf einen
einlässt, kommt sie nicht mehr los, dann ist verletzlich, hat eine Pforte
aufgemacht, die sie nicht mehr zukriegt. Deswegen hat sie ziemlich selten Sex
und wenn sie welchen hat, dann verhütet sie mit Kondom. Also ist AIDS für sie
kein so großes Problem.
Eigentlich ist Blues völlig unpolitisch, aber hier sieht sie
dann doch mal die gesellschaftliche Relevanz. Das wird die Welt verändern! Die
gängigen Sprüche: wer 2x mit der gleichen pennt gehört schon zum Establishment.
Blues ist bestimmt keine Emanze, trotzdem hört sie das Frauenfeindliche an dem Spruch. Aber
darum geht’s jetzt grad nicht. Sexualität war mit Mühe frei vom Mottengeruch
der letzten Generationen. Freud hätte vielleicht seine Freude gehabt: es ging
nur noch um Lust, eigentlich. Und nun das! Angst und Sexualität passen nicht
zusammen
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