Sonntag, 22. Februar 2015

IG Farben An der Strasse


Roth war zu Besuch in der Drogen WG. Dazu muss sie 20 Kilometer nach Norden, ein echter Ausflug, denn sie trampt. Jetzt ist sie auf dem Rückweg, ganz erstaunlich, es war niemand zu Hause. Das ist ihr zum ersten Mal passiert. Schade eigentlich, da wohnen einige nette Jungs. Gewöhnlich setzt sie sich dort in die Küche und überlässt sich den Dingen. Meistens wird gekifft und palavert, manchmal bleibt sie über Nacht, oder sie fahren alle zusammen in die Stadt. Da steht sie jetzt am Straßenrand und fragt sich, was sie mit dem Tag anfangen soll. Ein hässlicher Opel Rekord mit einem jungen Typ hält an. Sie steigt ein, ohne zu fragen, der fährt doch sowieso in die Stadt. Sie fahren, quatschen ein bisschen, plötzlich spürt sie etwas im Nacken. Eine Pistole, sie soll ihm einen blasen. „Klar, mach ich, aber nimm die Pistole weg!“ Sie biegen ab, in die Weinberge, sie tut, was sie tun muss. Schwert schlucken.  Zurück an der Straße, steigt sie aus, sagt noch brav „Tschüss“ und  schlägt die Tür zu. Sie hält wieder den Daumen in den Wind und wundert sich, was ihr da gerade passiert ist. Oft reden sie zu Hause darüber, was Frau sein ausmacht. Roth hat sich zur These verstiegen: Jede Frau erlebt eine Schwangerschaft, eine Abtreibung und eine Vergewaltigung, bevor sie eine richtige Frau ist. Ob das so stimmt weiß sie gar nicht, aber nun hat sie einen Teil davon erlebt.  Sie steht da und überlegt, ob und wie sie es ihren Leuten erzählt.
Irgendwann am Abend ist der Moment richtig: „Ja, genau so was habe ich heute erlebt. Der hatte eine Waffe, was sollte ich machen….“ Und so erzählt sie die Tatsachen. Sie fühlt sich ein bisschen wie ein neues Clubmitglied. Die anderen regen sich auf, „hast Du Dir die Autonummer gemerkt?“ „Du musst zu den Bullen!“ Dass alle das so ernst nehmen, das tut ihr gut. Sie weiß gar nicht, wie sie das nehmen soll, sie wusste nur, sie hat was zu erzählen. Meistens neigt Roth dazu, ihre Geschichten noch ein bisschen auszuschmücken, nur so etwas Schliff, oder mehr Gewicht. Diese Geschichte hat 3 Worte und das ist alles. Sie ist ja so unfassbar blöd, sie hat sich die Autonummer nicht gemerkt und ok, morgen geht sie zu den Bullen. Wenn sie zu den Bullen geht….das macht die Geschichte so wirklich und so nah. Eigentlich ist alles schon so weit weg, als wäre es vor Monaten passiert.

Sie muss zur Kripo. Komischer Laden, die sehen alle gar nicht so richtig wie Bullen aus, sie verhalten sich auch nicht so. Alle sind ganz freundlich. Trotzdem ist Roth angespannt, sie kämpft um Glaubwürdigkeit, sie kämpft da mit sich selbst und die Bullen dürfen davon keinesfalls was merken. Ihre Geschichte soll kein einziges Fragezeichen über lassen. Der Kripotyp, der sich um sie kümmert, verhält sich total ok. Das ist keine Selbstverständlichkeit, die meisten Fremden verhalten sich ihr gegenüber abweisend. Roth weiß schon, dass das an ihr liegt, die Art, wie sie sich kleidet und die  Haare. Außerdem  ahnt sie, dass ihre Körperhaltung und ihr „feindliche-Welt-Gesicht“  noch eins obendrauf setzen. Sie fahren zusammen raus aus der Stadt, Roth soll genau zeigen, wo alles passiert ist und so. Sie halten an der Stelle am Fuß der Hügel, „gut geschätzt, genau 700 Meter, wie Du gesagt hast“, sagt er nach einem Blick auf den Tacho. Das tut ihr gut, sie kann sich das alles gar nicht mehr glauben. Er zeigt gar keine Zweifel, er macht die Geschichte wahr. Sie spürt gar nichts und nachdem sie die Weinberge  verlassen haben rutscht alles ganz schnell wieder in eine Traumwelt. Nach einigen Wochen wird sie abgeholt, sie soll zur Gegenüberstellung. Sie hat Herzklopfen. Ist das so? War das alles so? Wird sie den überhaupt erkennen? Sie kann sich gar nicht mehr erinnern. Sie darf jetzt ja keinen Falschen beschuldigen. Wieder der Kripotyp und wieder ist er ganz freundlich. Ganz in Ruhe erklärt er ihr das Setting: sie guckt durch Glas, ihr Gegenüber schaut zurück, sieht sie aber nicht, schaut in einen Spiegel. Roth hat schweißnasse Hände, beklemmend. Der Bulle legt ihr eine Hand auf die Schulter, „lass Dir Zeit“, sagt er. Bei ihm fühlt sie sich echt gut aufgehoben, er ist da, nicht zu nah, nicht väterlich. Von seitlich nähert sie sich vorsichtig dem Glas. Die Zweifel in ihrem Kopf werden immer lauter, sie zwingt sich. Sie sieht ihn direkt an, er schaut zurück, grinst ein bisschen. Sie hat gar nicht gemerkt, dass es sie 3 Schritte zurück gehauen hat. Der Bulle fängt sie auf und führt sie zu einem Stuhl. Sie keucht. „Alles ok?“ fragt er besorgt. Seine Fürsorge, oh Mann, echt gut. Sie überlegt, ob der wohl eine Freundin hat. Alle möglichen Gedanken sind jetzt gut, nur ganz schnell das Gesicht vergessen, das sie eben angeschaut hat.

1 Kommentar:

  1. Wow endlich mit Kommentar!
    Heftige Geschichte, toll geschrieben.
    Bin gespannt wie es weiter geht.

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