Sie sind wieder auf Reisen, in Locarno. Hier hatte der Vater
große Schwierigkeiten eine günstige Unterkunft zu finden. Aber es hat geklappt,
sie schlafen alle vier in einem Zimmer. Wie abgeranzt das Hotel ist, kann Anna
gar nicht erkennen, aber als die Mutter ihr sagt, dass sie sich nicht auf den
Klodeckel setzen soll, ahnt sie, dass es eine ganz schön heruntergekommene
Bleibe ist. Nach dem Abendessen gibt es nichts mehr zu tun. Alle außer Albert
liegen schon in ihren Betten, sind aber noch gar nicht müde. Albert tanzt nackt
vor Anna´s Bett herum, singt dazu ein ausgedachtes Liedchen und reißt im
Rhythmus seine Pobacken auseinander. So kann sie seinen Tanz bewundern und
seine rhythmische Rosette sehen. Ein schöner Spaß, dem der Vater ein jähes Ende
setzt.
Oftmals langweilen sie sich außerordentlich in engen
Hotelzimmern. Der Vater ist bei Besprechungen, der Ort unergiebig oder so. Sie
müssen immer parat sein, dürfen nicht ihre eigenen Wege gehen, undenkbar auf die
Kinder warten zu müssen. Also lungern sie im Bett herum, was soll man tun.
Irgendwann haben sie sich das Massage-Spiel ausgedacht. Die Regeln sind
einfach: einer massiert den anderen, nicht nur nach Lust, sondern nach Zeit.
Wenn Anna Albert siebzehn Minuten lang massiert hat, dann muss er das auch. Die
Uhr sorgt für Gerechtigkeit, denkt Anna. Aber wenn er keine Lust mehr hat, wird
die Massage schlecht, negativ, er fängt an sie zu trietzen, naja, das Übliche
eben. Es gibt aber keine Alternative, sie müssen in diesem Zimmer bleiben, sie
bleiben bei Albert´s Spielchen. Irgendwann kommt der Vater herein, um zu sagen,
dass die Reise weitergeht. Er sieht Albert auf Anna sitzen, im Bett, beide mit
nacktem Oberkörper. Seine Phantasie geht mit ihm durch. Inzest. Inzest. Er regt
sich höllisch auf, die Anderen sind von der Unterstellung eigentlich nur
genervt. Anna weiß gar nicht wovon er redet, aber an der Reaktion der Mutter
und von Albert merkt sie, dass der Vater mal wieder auf dem völlig falschen
Dampfer ist.
Der Vater kommt
lauthals in Anna´s Zimmer gesprungen: „Anna, steh auf, es ist Weihnachten!“ Ja,
mein Gott, es ist noch den ganzen Tag Weihnachten, denkt sie, steht aber auf.
Der Vater freut sich immer sehr an Weihnachten, aber aufgepasst, die Stimmung
kann schnell umschlagen. Abends sitzt er in seinem Sessel und würde am liebsten
alle Päckchen selbst öffnen. Behutsam
fummelt er an jedem einzelnen Knoten, um den Spaß lange auszukosten.
Anna hat ja auch noch alle Freude an Weihnachten. Sie hat vormittags die Weihnachtsgeschichte
auswendig gelernt und abends nach dem Essen aufgesagt. Dabei kam sie sich dann
doch ein bisschen komisch vor. Ja ok, ein Kind sagt ein Gedicht auf, aber die
Weihnachtsgeschichte kennen nun mal alle Anwesenden. Anna fühlt sich ertappt bei
ihrem Aufmerksamkeitsdefizit. Die
Inszenierung war ein Weg in den Mittelpunkt, für kurz. Die Kerzen am
Weihnachtsbaum dürfen nicht lange an sein, der Vater braucht den Sauerstoff für
sein Herz. Jetzt legt er alte Platten auf und will tanzen. Er bittet Anna zum
Tanz. Warum sie? Er ahnt, dass seine Frau ihm einen Korb gibt. Anna kann sich
nicht wehren. Sie genießt die Aufmerksamkeit des Vaters, ist aber auch
ängstlich etwas falsch zu machen. „Ich kann aber doch gar nicht tanzen“, wendet
sie ein. Der Vater erklärt ihr, dass er ein guter Tänzer ist und sie einfach
führt. Das klappt auch, aber Anna ist mächtig unter Druck: sie muss sich führen
lassen können und auch noch aufpassen sonst nichts falsch zu machen, damit der
Vater fröhlich bleibt. Sie spürt Verantwortung
für die gesamte Familiensituation. So kann sie die seltene Aufmerksamkeit des
Vaters gar nicht genießen.
Anna ist Bettnässerin. Das geht so: Sie träumt, dass sie
sich irgendwo zum Pinkeln hinhockt und es laufen lässt. Dann wacht sie in einem
nasskalten Bett auf. Sie sucht sich einen trockeneren Bereich und schläft
weiter. So geht das oft. Weiß die Mutter davon? Keine Ahnung. Mal wieder
unterwegs, diesmal in der Schweiz, wird es spät und der Vater hat immer noch
keine Unterkunft gefunden. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als ein teures
Hotel zu wählen. Das ist nur für den Vater ein Drama, alle wissen, dass in
seiner Brieftasche genug Geld ist. Die restliche Familie genießt das, abgesehen
von seiner schlechten Laune, die sowas beschert. Anna freut sich an dem schönen
Zimmer, in dem sie schlafen wird. Das Bett ist wie im Märchen mit der Erbse:
eine riesige, weiche Matratze. Als Anna sich ins Bett kuscheln will, fällt ihr
siedend heiß ein, dass sie ja immer ins Bett macht. Diese Peinlichkeit darf ihr
heute nicht passieren, eine furchtbare Vorstellung, diese große Matratze mit
Pippi zu nässen. Verkrampft legt sie sich hin, will am liebsten gar nicht
einschlafen. Sie träumt wieder, dass sie sich zum Pinkeln hinhockt. Da klingelt
ein Alarm in ihrem Kopf, der sie aufweckt. Im Bett ist nur ein kleiner Fleck,
damit kann sie Leben. Sie rennt zum Klo. Der Alarm ist jetzt fest installiert.
So wurde sie von einem teuren Hotel geheilt.
Anna und Albert zanken mal wieder. Albert verändert die
Auseinandersetzung zur Prügelei. Die Bedrohung, die von ihm ausgeht ist zu viel
für Anna. Sie flüchtet schnell in ihr Zimmer, stemmt die Klinke mit aller Kraft
hoch, damit Albert nicht herein kann. Wohin nun mit seiner Wut? Er greift sich
den Stuhl am Klavier und rammt ihn in die Tür. Er ist selbst baff, wie sehr er
die Tür lädiert hat. Die kaputte Stelle wird mit Gips aufgefüllt und weiß
übermalt. Wer hat diese Ausbesserung denn gemacht? Es war zu viel weiße Farbe,
ein Tropfen hat sich gelöst und ist einige Zentimeter herunter gelaufen. So ist
alles angetrocknet und geblieben. Immer wenn Anna in ihr Zimmer geht, sieht sie
die Stelle. Ein ewiger Hinweis auf ihren Albert, seine Unbeherrschtheit, den
Charakter der Beziehung der Beiden. Aber so denkt sie nicht darüber nach. Sie
denkt: jaja, der Albert.