Freitag, 26. Dezember 2014

IG Farben. Bionda


Sie geht um die Ecke, sie ist spät dran, die Anderen sind schon vorausgegangen, nun kommt sie hinterher, sie wird schon nichts verpassen. Nach der Ecke sind es nur 200 Meter, dann nach rechts und da steht sie auch schon vor ihrem eigentlichen Wohnzimmer, der Szenekneipe. Es ist Samstagabend, also los, ab in das Getümmel. Die Tür geht auf, warmer Zigarettenqualm, Bierdunst und laute, aufgedrehte Gesprächsfetzen wabern ihr entgegen. Sie taucht ein, in den regelmäßigen Wahnsinn. Sie quetscht sich an den Leuten vorbei auf dem Weg zur Theke, sie will jetzt ein Bier. Derweil genießt  sie den Körperkontakt, das findet sie anregend. Die Typen fahren voll auf ihren Körper ab, dieses Wissen beeinflusst ihre Bewegungen sehr. Auf dem Weg bis zum Bier hat sie schon wieder mit drei, vier Kerlen anregende Miniintermezzi gehabt, von Becken zu Becken. In ihrem Gesicht sieht man davon gar nichts, höchstens ein ganz bisschen rosa auf den Wangen. Mit dem Bier in der Hand quetscht sie sich weiter auf dem Weg zu den Anderen. Bionda muss schon grinsen, wenn sie sich das Bild von ihren kichernden Freundinnen nur vorstellt. Jetzt hat sie sie ausgemacht, sie stehen um die Ecke, da geht die Theke weiter, man ist also immer noch am Trog. Dort führt ein schmaler Weg in das Hinterzimmer. Gut, sie stehen an Biondas Lieblingsplatz. Viele Leute drängeln sich dort vorbei, es bleibt also bei Körperkontakt und sie bekommt nach und nach einen guten Überblick, wer so alles da ist. Die drei anderen Mädels unterhalten sich über den gestrigen Abend. Das ist immer spaßig, denn nur in der Gemeinschaftsarbeit sind sie in der Lage das Erlebte zu rekonstruieren. Jede für sich hat nur mehr oder weniger schemenhafte Erinnerungsfetzen, erst wenn sie alle ihre Fetzen zusammentun, ergibt sich ein löchriges Gesamtbild, was sie wieder losgemacht, oder angestellt haben, je nach Blickwinkel. Als Bionda dazu kommt erzählen sie sich gerade gegenseitig, wie Roth an einem gutaussehenden Punk gebaggert hat. Es war schon spät am Abend, beziehungsweise schon bald Sonnenaufgang, Roth hatte, wie immer, ordentlich getankt und alle Scheu hinter sich gelassen. Die beiden anderen Mädels schildern Roth ihre aufdringlichen Versuche den Punk zu sich nach Hause zu zerren. Roth kriegt vor Lachen kaum noch Luft, sie ist rot, aber eher, weil sie im Mittelpunkt des Gespräches steht, als dass sie sich schämt. Ihre Scham hat sie in den letzten Jahren weitgehend mit Alkohol weggespült, außerdem sind die Anderen so erfrischend schamlos, da hat sie sich schnell und gern angepasst. Nun ist also Bionda dabei und gibt gleich noch ihren Beitrag zum Thema. Das kommt jetzt ganz auf ihre Laune an, der kann schneidend scharf und abkanzelnd sein oder auch liebevoll und unterstützend. Heute ist Bionda eher unterstützend, sie ist so angenehm angeregt von dem Gedrängel. „Jedenfalls hast Du nichts groß verpasst, Süße, der Typ ist Scheiße im Bett!“  Es ist so voll, dass alles von der Brust abwärts eigentlich unsichtbar ist. Was da passiert ist geheim. Bionda liebt diese Situation, sie kann jetzt scheinbar unbeabsichtigt mit ihrem Körper agieren. Sie ist da schon ambivalent, die Typen fahren höllisch auf ihren Körper ab, das ist natürlich gut so, aber manchmal macht es sie auch traurig, unglücklich. Dann hadert sie, dass sie sich gar nicht gemeint fühlt, sondern nur ihre schöne Hülle. Meistens kommt sie aber gut klar, diese Körperlichkeit macht sie an. Hier an diesem Platz kann sie quer über die Theke zurückschauen, zu den Männern, an denen sie sich vorhin vorbeigedrängelt hat. Schaut einer zu ihr? Hat sie da, beim harmlosen Vorbeigehen, wieder was aufreißen können? Ihr gefällt der Abend jetzt schon, sie bestellt sich noch ein Bier und tut so als wäre sie am Gespräch mit ihren Freundinnen interessiert. Einer ihrer Verehrer kommt angeschlappt. Den braucht sie jetzt gar nicht, der besetzt den Platz bei ihr, der lieber frei bleiben sollte, für potentiell Interessierte. Sie ist trotzdem freundlich, obwohl  der Junge absolut keine Schnitte bei ihr hat, bleibt er in ihrem Pool. Sie hat ein großes Sammelbecken für Verehrer, das wird von ihr lauwarm beheizt, man weiß ja nie, wofür man sie noch brauchen kann. Jetzt unterhält sie sich freundlich mit dem Schluffi. Ihre Freundinnen hören amüsiert zu, denn alles was sie sagt ist zweideutig, die Freundinnen hören etwas anderes als der Schluffi. Der Junge wird zusehends verunsicherter und verzieht sich bald. Er ist sauer auf die Mädels, nicht auf Bionda, die war ja nett, nur ihre Freundinnen haben die ganze Zeit so blöd gekichert. Bionda ist erleichtert, dass der Platz bei ihr wieder vakant ist, vielleicht kommt jetzt doch noch einer ihrer jüngsten Kontakte herüber. Mit einem Ohr hört sie dem Gespräch ihrer Freundinnen zu, Violet erzählt gerade, dass ihr Bett heute früh vollgepisst war, war sie das selbst, oder der Kerl, den sie abgeschleppt hat, das ist die Frage. Alle lachen, keine findet das Thema lustig, Filmriss ist noch ok, nächtliche Inkontinenz ist beängstigend, aber jetzt und hier wollen alle lustig und souverän sein, also wird das Thema mit viel Ironie auf Distanz gehalten. Bionda gibt gerade einen ihrer schlauen Sätze zum Besten, als endlich einer kommt und sie anspricht. Jetzt war aber gerade „letzte Bestellung“ angesagt, also muss sie erstmal klären wo der Abend weitergehen soll.
Keine Frau ist so charmant wie Bionda. Wenn sie entspannt ist, ist ihre Wirkung nicht so stark, aber wenn ihr Gesicht lebendig wird, dann wirkt sie sehr ansprechend. Dabei ist ein Schneidezahn viel länger als der andere, das sieht ja eigentlich hexig aus, aber bei ihr mehr liebenswert. Sie hat eine ganz eigene Schönheit, wenn sie lächelt. Ihr Lächeln kann so warmherzig sein, dass sie trotz ihrer Jugend mütterlich wirkt. Das ist keineswegs altbacken sondern ganz frisch. Bionda hat wunderbare Haut, sehr weiß, ein bisschen porzellanartig, an manchen Stellen schimmert ihr Gesicht bläulich. Morgens kann sie schon mal richtig fertig aussehen. Ehrlich gesagt auch mittags, oder nachmittags, aber bis abends, bis sie wieder loszieht, ist alles gut, dann sieht sie wieder großartig aus. Mütterlich ist auch ihre Stellung in der Mädelsclique. Sie ist die einzige, die eine vernünftige Wohnung hat, fast alles spielt sich bei ihr ab, also tagsüber, dadurch hat sie eine zentrale Rolle in der Gruppe. Es ist auch ihre Heimatstadt, die drei anderen sind zugezogen, Bionda kennt sich bestens aus. Aber wichtig ist auch ihr Charakter, sie ist trotz ihrer Jugend so lebensklug. Die anderen können das oft nicht so annehmen, aber Bionda weiß meistens wo es lang geht.
Auch die anderen werden aktiv, „letzte Bestellung!“ wirkt auf alle wie eine Warnung. Keine von ihnen will um diese Uhrzeit nach Hause. Der Abend hat ja gerade erst angefangen, sie wollen sich noch amüsieren, nicht nur das, das ganze Leben kann sich heute Nacht entscheiden. Also umschauen, horchen, was machen die anderen so, gibt es eine Party? Bis eben haben sie so beieinander gestanden, dass kaum Platz für andere war, jetzt orientieren sich alle nach außen, gehen auseinander, jede geht zu anderen Bekannten um zu hören, was in der Stadt, am Abend, so los ist. Wenn ein Außenstehender das beobachtet sieht das fast aus wie eine Ballettfigur, ist das eine Quadrille? Vier Mädchen stehen zusammen, schwärmen plötzlich nach außen und kommen, wie auf ein geheimes Zeichen, wieder zusammen. Ok, was geht? Es gibt eine Party in der Kantstraße, ein paar Jungs wollen weiter in die Weinstube, die noch bis um drei offen hat, irgendjemand hat gesagt, er geht noch in die Disco. Tja, Weinstube ist eigentlich eine Sackgasse, da gibt man sich noch den finalen Abschuss und dann ist der Abend rum. Disco ist auch nicht so toll, die ist für Studis, da ist unklar, ob die Mädels reinkommen, also Kantstraße. Wer wohnt eigentlich in der Kantstraße? Bionda ist mal wieder die Einzige, die dort jemanden kennt, aber auch nur entfernt, also am besten mitgehen, mit anderen, damit man dort nicht so komisch angeschaut wird. Das Ballett zeigt noch mal eine hübsche Figur, nochmal Leute ansprechen, austrinken, klarmachen und dann gehen die vier Mädels mit drei Jungs zur Tür hinaus in die kalte Nacht.


Donnerstag, 18. Dezember 2014

Befindlichkeiten: Heimat


Gestern bin ich mit dem Zug hier angekommen. Das war aufregend: schon lange vorher waren die Hügelketten vertraut. Der Zug fuhr, das Gefühl  des Vertrauten in mir wurde immer größer. Ich erkannte die Orte und Bahnhöfe entlang der Bahnlinie. Dann die Außenbezirke der Stadt, ich hatte das Gefühl, die einzelnen Häuser wieder zu erkennen. Der Zug fuhr über meine Straße, bevor er in den Bahnhof einfuhr. Das ist Heimat. Ich wohne hier aber gar nicht mehr. Ich wohne weit weg, vermisse diese Stadt scheinbar  nicht und gestern bin ich hier, nach langer Zeit, wieder mal angekommen. Ist es Heimat? Es ist so vertraut, jedes Blatt am Baum scheint mir bekannt vorzukommen. Da ist wenig, was ich vermisst habe, aber das Gefühl von Vertrautem ist sehr angenehm. Daheim ist das Bekannte, wenn jeder Winkel und jede Ecke hundertmal angeschaut wurde und ganz nah herangewachsen ist. Ich bin aus dem Zug ausgestiegen, durch den Bahnhof gelaufen und dann zurück zu meiner Straße. Die Gesichtszüge der Passanten schienen auch so vertraut, kenne ich die alle? Hat das Volk hier ein anderes Gesicht als in meiner neuen Stadt? Beschwingt lief ich durch die Straßen, es ist gut so, ich werde den Besuch in dieser Stadt in meiner ehemaligen Wohnung verbringen. Mein Nachmieter und ich sind befreundet, dadurch geht das, da ist noch meine alte Küche, da steht noch derselbe Küchentisch. Es ist auch der gewohnte Blick aus dem Fenster, das gleiche Licht, die bekannten Geräusche, alles sehr vertraut. Da ist nichts, was ich vermisst habe und doch ist alles ganz anheimelnd. Es sind mehrere Schichten übereinander, das Alte, Vertraute, aber eben keine Rückwendung, sondern alles ist jetzt und aktuell. Und es ist Heimat. Wie viele Heimaten kann ein Mensch haben? Ich fühle mich nämlich gar nicht mehr fremd in meiner neuen Stadt, dort ist auf jeden Fall mein zu Hause. Hier ist es ein Eintauchen in meine eigene Geschichte mit dem Zeigefinger am Herz. Ich konnte meine Ankunft hier krönen, indem ich meine beiden besten Freunde gestern noch getroffen habe. Das wirkt wie Völlerei, Gier, die Beiden, nacheinander, am Ankunftstag noch zu treffen. Aber es war richtig. Das war in Verbundenheit baden. Oh ja, die Zwei vermisse ich in meiner neuen Stadt. Später habe ich Musik gehört: Jupp Götz „Zeit, bleib stehen, ich will mal kurz nach hinten sehen…“ Der trifft es schon recht gut. Aber bei mir braucht die Zeit nicht stehen zu bleiben. Alles ist jetzt und aktuell und doch gibt es diesen anheimelnden Blick nach hinten, ohne sich umzudrehen, das Hinten ist hier vorne.

Viele Leute sagen: „Heimat ist da, wo meine Freunde sind.“ Das sehe ich jetzt auch so. Vielleicht sind es die Freunde, ich glaube, es ist das Gefühl von Verbundenheit, das Heimat ausmacht. Aber ja, die Verbundenheit kommt mit den tiefen, tragenden Freundschaften. In der neuen Stadt ist mein zu Hause, in der alten Stadt ist meine Heimat, denn dort fühle ich mich verbunden, in Freundschaft. 

Mittwoch, 10. Dezember 2014

Das Muttertier: gelbgrün


Mich hat so eine unbestimmte Verzagtheit ergriffen. Ja, ich bin ergriffen, besonders durch das Unbestimmte hat sie, die Verzagtheit, mich fest im Griff. Und ich muss mich festhalten, sonst fange ich an zu weinen. Jetzt nicht, auch nicht bei der Arbeit, oder so, aber wenn ich nachspüre, bin ich traurig und weiß nicht warum. Gegen Trauer ist nichts zu sagen, aber ich bin so kausalgeil. Ich will den Grund wissen, also durchforste ich mein Hirn nach Vorfällen, die mich verzagen lassen könnten…was finde ich? Die Sache mit dem Kind. Tja, das kann´s sein. Die Sache ist noch nicht all zu lange her, ich spüre ja auch immer noch die Racheimpulse. In meinem Kopf heißt sie oft doofe Ziege, deutlicher Hinweis, dass ich noch nicht fertig damit bin. Und weiter geht’s mit der Diskrepanz zwischen Kopf und Bauch. Das kann ich gar nicht leiden. Mein Kopf denkt nach, oder schaut auf die Situation, das ist jetzt nicht zum Jubeln, aber alles ok: das Kind will seine eigenen Wege gehen, die Verstrickungen mit mir lösen, auch ich bin der Meinung, die Beziehung sollte klarer, sauberer werden. Also Keller aufräumen, Schuldgefühle anschauen und Leinen los. Ich bin ja auch der Ansicht, sie sollte ihre eigenen Wege gehen. Was wollte ich in dem Alter von meiner Mutter? Gar nichts!
Wenn ich jetzt so meine Verzagtheit begucke, dann habe ich den Eindruck, meine Tochter ist der Mittelpunkt meiner Welt und auch wenn ich da nicht hingucke, weiß ich, sie ist der Mittelpunkt meiner Welt. Klar will sie nicht der Mittelpunkt irgendwelcher Welten sein. Sowas mag ich auch nicht. Klar soweit. Also nehme ich mir eine andere Spielfigur und rücke sie ins Zentrum. Schön wärs, wie geht das? Ich hatte ihr schon gesagt, dass ich mich nicht, ihr zu gefallen, neu verlieben kann. Schon klar, das wäre die einfachste Lösung, Mama ist verliebt, das Kind ist raus aus dem Spiel. Als sie klein war, war es wohl gut und richtig, die Beziehung so eng zu gestalten, eine 2-Raum-Familie. Jetzt arbeiten wir einzeln an der Lösung der Situation, ich bin alt, langsam und behäbig und hinke entsprechend hinterher.
Genug vom Kopf, da ist doch sowieso alles klar, jetzt will endlich mal der Bauch gehört werden. Also, wenn ich erlaube, dass es einfach unzensiert hochschwappt, das Gefühl, dann ist da immer noch Rache. Das ist mir ja peinlich, dass ich so nachtragend bin. Und dann eben diese Verzagtheit, da ist mein Leben hinter einer grauen Gardine verschleiert. Ich weiß schon, das muss ich nur aushalten, irgendwann ist die Gardine wieder weg, so war es in den letzten Jahren meistens. Aber es ist komisch, wenn das gleiche Leben, das vor einem Monat noch schön war, jetzt nicht mehr schön ist. Meine Ziele sind die gleichen, ich muss genau schauen, um zu merken, dass sie immer noch den gleichen Stellenwert haben. Ja, klar, ich brauche einen Menschen, auf den ich meine Gefühle fokussieren kann, aber, der ist mal nicht eben aus dem Hut gezaubert. Ich weiß auch nicht so, wie man das macht, mit dem Verlieben, aber das ist jetzt nicht das Thema.

Mein Lebenszentrum ist erst mal leer, wenn ich es schaffe, das Kind da herauszurücken. Das ist nach 25 Jahren keine einfache Übung, aber ich will es versuchen. Schon wieder Kopf, der über den Bauch herrschen will. Mein Bauch lässt sich aber, glaube ich, nicht beherrschen. Er kotzt

Freitag, 5. Dezember 2014

Anna im Weltall mit dem Vater


Es soll bald losgehen. Sie fahren zusammen weg. Aufregend und schön. Ihre beste Freundin Corinna steht neben Anna im Hausflur, sie warten. Anna weiß, das kann lange dauern. Der Vater muss übers Wochenende mal wieder dienstlich nach Bayern, das kommt ganz häufig vor. Aber heute ist es ganz besonders, Anna fährt mit und eben Corinna. Sie hat noch nie mit Anna einen Ausflug gemacht, geschweige denn bei Anna übernachtet. Für Anna ist das alles ganz aufregend. Aber bisher ist nur Warten angesagt, der Vater räumt seine Sachen zusammen, das kann ewig dauern. Dann kommt er doch nach vorne und sagt: „so, es kann losgehen, setzt euch schon mal ins Auto!“ Ach, du Schreck, Corinna hat ja noch gar nicht ihr Zeug beisammen. Sie kennt den Despotismus von Anna´s Vater, also rennt sie ganz aufgescheucht mit Anna nach Hause, gegenüber, und macht bei ihrer Mutter Alarm. Ihre Mutter ist für Alarm nicht zu haben, aber gerne mal schnippisch: „Du bleibst zu Hause, fertig, aus.“ Für Anna bricht alles zusammen, da braucht man nicht betteln und greinen, es ist entschieden. Also geht sie über die Straße zurück nach Hause und lässt den Kopf hängen. Der Vater ist gar nicht traurig, dass Corinna nicht mitkommt, er räumt noch ewig seine Sachen zusammen, bis es dann wirklich losgeht. Anna würde jetzt am liebsten auch zu Hause bleiben, allein mit dem Vater, das ist beängstigend. Aber das geht nicht, sie muss nun mit, ganz ohne Vorfreude.

Sie und der Vater alleine. Niemand hinter den sie sich ducken kann. Da muss sie aufpassen, Worte und Taten müssen gut gewählt sein, damit kein Donnerwetter über sie hereinbricht. Doch der Ausflug verläuft ganz unspektakulär, eigentlich sogar harmonisch. Die Nähe zum Vater ist ungewohnt, er spricht mit ihr. In Bayern kann sie im Wald spielen, das bekannte Gelände erkunden. Der Ort ist vertraut und doch fremd genug, dass sie sich nicht zu sehr langweilt. Es gibt ja so Grundregeln im Umgang mit dem Vater: Klappe halten, in Rufnähe bleiben, nichts anfassen und so. Wenn man die einhält, dann geht es meistens. Er redet mit ihr, diese Aufmerksamkeit findet sie schön, auch wenn sie nicht so recht versteht, worüber er redet. Dann kommt schon die Rückfahrt. Noch mal vier Stunden neben dem Vater sitzen, die letzte Hürde, bis sie wieder in der Familie untertauchen kann. Es ist ja doch ganz schön kuschelig, hier vorne, neben dem Vater, die Welt gleitet mit gleichmäßigem Brummen an ihr vorbei, das Abendlicht ist seltsam schön und der Vater redet ganz freundlich mit ihr. So ist es schön! Sie genießt das, jetzt bloß nichts falsch machen. Sie macht nichts falsch, denn sie schläft ein. Der Vater weckt sie, als er den Motor auf dem heimischen Hof ausstellt. Er ist ganz freundlich zu ihr. Sie weiß, für den Moment hat sie alles richtig gemacht.